Puzzle mit Knochen an der Nordseeküste Pottwale kehren als Skelette zurück an die Küste

Loenen/Wangerooge · Knochenarbeit ist angesagt, wenn ein toter Pottwal als Ausstellungsstück präpariert wird. Vom übelriechenden Kadaver bis zum sauberen Skelett ist es jedoch ein weiter Weg.

Puzzle mit Knochen an der Nordseeküste: Pottwale kehren als Skelette zurück an die Küste
Foto: dpa / Ingo Wagner

Ein seltsamer Geruch dringt aus der Halle, vor ihrem Eingang schlägt die Nase Alarm. Hinter der Tür herrscht ein Durcheinander aus Kübeln, Gerüsten und Werkzeugkisten mit Schälmessern, Schabern und Haken. Von der Decke hängen Ketten und Flaschenzüge. Der Blick fällt auf Tapeziertische mit seltsam langen Knochen, auf dem Boden stapeln sich Wirbelkörper, so groß wie Holzklötze. Dort wird der stechende und unangenehme Geruch stärker. „Nach zwei Stunden hast du dich dran gewöhnt“, sagt Aart Walen. Sein Name ist Programm: Der Niederländer präpariert tote Tiere, und mit verendeten Walen hat er seit einem Jahr gut zu tun.

Rückblende: Anfang 2016 stranden 30 junge, männliche Pottwale an den Küsten von Deutschland, der Niederlande, Großbritanniens und Frankreichs. Allein 16 Kadaver treiben in der deutschen Nordsee an, zwei der Tiere liegen am Strand der ostfriesischen Insel Wangerooge. Nach mehreren Tagen haben Verwesungsgase die massigen Körper aufgebläht, sie drohen zu explodieren. Die Behörden fragen Spezialisten um Rat. Einer von ihnen ist Experte Walen: Er weiß, wie die Kadaver angestochen werden müssen, damit die Gase entweichen.

Es ist eine spektakuläre Szenerie, als die zwei Pottwale auf dem riesigen Areal des kaum genutzten Containerhafens JadeWeserPort in Wilhelmshaven zerlegt werden. Walen und sein Team müssen zunächst Stufen in die Fettschicht schneiden, um auf die toten Tiere klettern zu können. Die Kadaver werden für Untersuchungen, zur Entsorgung und für den Abtransport in viele Stücke zerteilt.

Walpräparator Aart Walen
9 Bilder

Walpräparator Aart Walen

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1500 Kilogramm Wal-Überreste haben Walen und sein Team schließlich bei der Rückfahrt in die Niederlande im Container. Mit im Gepäck ist ein Arbeitsauftrag von Wangerooges Bürgermeister Dirk Lindner (parteilos): „Ich möchte unbedingt einen Wal als Ausstellungsstück zurück haben“, hat sich Lindner bereits am Strand vor den Kadavern gewünscht.

Im April soll das Skelett vor dem Nationalpark-Haus der Insel stehen. Gut 70 000 Euro werden Transport, Präparation und Aufstellen kosten - viel Geld für eine kleine Inselgemeinde. Doch Lindner will die Summe mit Zuschüssen und Sponsoren zusammenkratzen.

Jetzt nach einem Jahr - mit Unterbrechungen für andere Aufträge - ist die Arbeit der Präparatoren in der Werkhalle gut vorangekommen. Walen und seine Helfer Pedro und Niels befestigen den Walkopf an einem Tragegeschirr. Auf einer langen Eisenstange werden die ersten Wirbelkörper aufgereiht. Die spätere Lage jedes Knochens ist auf einem Plan wie bei einem Puzzle genau beschrieben. „Ich will das Skelett etwas dynamisch ausrichten, nicht so steif“, beschreibt Walen sein Vorgehen. So soll der Walkopf später in die Tür des Nationalparkhauses „reinschauen“.

Der Niederländer ist Knochenarbeit gewohnt. Schon sein Vater war Tierpräparator, und Walen kennt das Handwerk aus seiner früheren Arbeit in einem Zoo: „Ich liebe Tiere, ich habe viele Tiere gehabt, aber auch verletzte Tiere. Ich möchte sie lieber lebend als tot.“

Walen hat jedoch keine Skrupel, wenn er armdicke Löcher in die Knochen bohren muss, um sie später zu verankern: „Ich liebe Knochen. Schau mal hier, diese feinen Verästelungen und ästhetischen Strukturen an den Wirbelkörpern. Das ist fantastisch, wie das aussieht und funktioniert. Aber es ist auch nicht heilig: Ich kann damit arbeiten, um es zu stabilisieren und für alle sichtbar zu machen.“

Zum Umgang mit totem Fleisch kommt noch die Arbeit mit Beton, Stahl, Eisen, Schweißgerät und Kunststoffen hinzu. „Das ist nicht ein Beruf, sondern eine interdisziplinäre Handarbeit mit technischen und künstlerischen Seiten“, sagt Walen.

Vor zehn Jahren hat Pedro als Praktikant bei Walen angefangen und ist bis heute geblieben. Der Portugiese zeigt auf einen Behälter mit einem übelriechenden Reinigungsbad. In der schmutzigen Brühe liegen einige der 46 Zähne des Pottwals - begehrte Beute von Geschäftemachern, die mit dem illegalen Handel der Zähne Kasse machen könnten. Daher werden in das Skelett nur Abdrücke der Zähne eingebaut.

Etwas weniger streng riechen die Knochen, in denen die Bakterien das Eiweiß abbauen. Nach dem Entfetten werden die Gebeine ihre leicht gelbliche Farbe verlieren, zuletzt werden sie gegen Wettereinflüsse imprägniert. Das meiste Fleisch ist inzwischen draußen im Container verrottet und verwest. Einmal haben sich Nachbarn über den Geruch beschwert. „Das Gehirn riegelt den Ekel nach zwei Stunden wie eine Mauer ab, das ist wie bei Lärm“, sagt Walen.

Ist es nicht seltsam, mit dem Tod der Wale sein Geld zu verdienen? Walen winkt ab: „Wenn Tiere sterben, ist es doch zu schade, sie einfach wegzuwerfen. Wir nehmen etwas, und wir geben etwas zurück.“ (dpa)

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