Abmahnindustrie in den Startlöchern Was Kleinunternehmern wegen der neuen Datenschutzregeln blüht

Berlin · Am Freitag greifen die neuen Datenschutzregeln (DSGVO). Für Abmahner öffnet sich mit der Deadline eine Goldgrube.

Ein kleiner Fehler sollte der Bonner Onlinehändlerin Vera Dietrich teuer zu stehen kommen. Sie verkauft selbst gefertigte und importierte Textilien über das Internet. Dort offerierte sie auch einen Schal aus Kaschmir und Wolle. Das Angebot brachte ihr eine Abmahnung durch einen Abmahnverein ein. Die Kennzeichnung entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen, hieß es darin.

Die beigelegte Unterlassungserklärung unterzeichnete sie nicht. Der Abmahnverein ließ nicht locker. Per Gerichtsvollzieher sei ihr dann eine Strafandrohung von 250.000 Euro oder einem halben Jahr Haft bei einer Wiederholung des Fehlers angedroht worden. Gegen diese einstweilige Verfügung zog Dietrich vor Gericht und setzte sich kürzlich auch gegen den Abmahnverein durch, dem das Gericht die Klagebefugnis absprach.

Doch das ist ein eher seltener Erfolg. Denn das Recht ist häufig aufseiten professioneller Abzocker, auch wenn es eigentlich nur einen fairen Wettbewerb sichern soll. In den kommenden Wochen werden sich womöglich viele Onlinefirmen, Webseitenbetreiber oder auch Blogger auf Abmahnschreiben einstellen müssen. Denn Ende dieser Woche tritt die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft.

Sie sieht strenge Informationspflichten für die Webseitenbetreiber vor. Den Besuchern der Seiten muss zum Beispiel erklärt werden, welche Daten der Betreiber erhebt und wie sie verwendet werden, auch dass der Gast die gesammelten Daten abfragen darf. Zwar ist die Neuregelung seit zwei Jahren bekannt. Doch vorbereitet haben sich darauf längst nicht alle Internetportale.

Nur jede vierte Firma ist vorbereitet

Eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom zufolge wird nur jede vierte Firma rechtzeitig mit der Umsetzung der DSGVO fertig. Das öffnet Abzockern unter den Abmahnern, etwa darauf spezialisierte Anwaltskanzleien, eine Goldgrube. Die Abmahnung ist eigentlich ein Instrument zum Schutz eines fairen Wettbewerbs und zur einfachen Beseitigung von Rechtsverstößen.

Damit sollen zum Beispiel unlautere Werbung oder Urheberrechtsverletzungen unterbunden werden. Konkurrenten dürfen gegen solche Verstöße vorgehen und Abmahnungen verschicken. Damit einhergeht die Forderung, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Darin verpflichten sich die Abgemahnten, die monierte Praxis bei Androhung einer Strafzahlung zu unterbinden. Oft wird ein Anwalt damit beauftragt.

Es gibt auch Organisationen, die abmahnen dürfen. Dazu gehören etwa die Verbraucherzentralen, die Mietervereine oder der ADAC. Auf der Liste der zugelassenen Einrichtungen des Bundesamts für Justiz finden sich aber auch Vereine wie die Deutsche Umwelthilfe, die sich aus der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen teilweise finanziert.

Auch Vereine im Visier der Abzocker

Es gibt auch Anwälte oder Abmahnvereine, die offenbar allein aus Gewinnstreben nach Verstößen im Internet suchen. Das könnte demnächst verstärkt der Fall sein, da die DSGVO vor allem für kleine Firmen schwierig umzusetzen ist. Auch Vereine oder private Blogger könnten ins Visier der Abzocker geraten. „Wenn sich leicht Geld verdienen lässt, dann eher bei den Kleinen“, befürchtet die Rechtsexpertin des „digitalen Marktwächters“ der Verbraucherzentralen, Carole Elbrecht.

Wehren können sich die Betroffenen praktisch nicht, sofern sie einen Fehler begangen haben. Deshalb rät Elbrecht bei Unsicherheiten über die Angaben auf der eigenen Webseite, sich rechtlichen Rat einzuholen. „Das sicherste ist, die Seite zu deaktivieren“, sagt Elbrecht, zumindest bis die fachliche Prüfung erfolgt ist.

Experten raten zur Ruhe

Wenn tatsächlich eine Abmahnung ins Haus flattert, raten die Experten zur Ruhe. Laut Elbrecht sollte der Anspruch inhaltlich und auch in Höhe der Gebühren- und Strafzahlungen von Experten überprüft werden. Nur ignorieren sollte man eine Abmahnung nicht. Dann besteht die Gefahr, dass der Gegner vor Gericht zieht und ein kleiner Rechtsverstoß zu existenziell bedrohlichen Strafzahlungen führt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort