Kommentar zur Tierwohl-Kennzeichnung Um die Wurst

Meinung | Berlin · Zumindest in der Theorie sind sich alle einig: Die Schweine, Rinder, Hühner und anderen Nutztiere in deutschen Ställen sollen es besser haben.

Selbst der Deutsche Bauernverband räumte zu Beginn der Agrarmesse Grüne Woche in Berlin ungewohnt offen ein, dass viele Haltungsbedingungen nicht optimal sind. Vier von fünf Deutschen fordern in einer aktuellen Umfrage gesetzliche Vorgaben für mehr Schutz der Nutztiere.

So weit, so gut. Doch in der Praxis haben die frommen Wünsche bisher wenig bewirkt. Das liegt vor allem daran, dass die beteiligten Interessengruppen nicht an einem Strang ziehen.

Lebensmittelindustrie und Einzelhandel haben ihre Tierwohl-Initiative mit eigenem Siegel gegründet. Sie zahlen manchen Landwirten einen Zuschuss für mehr Komfort im Stall. Unter welchen Bedingungen die Tiere gelebt haben, deren Fleisch im Supermarkt verkauft wird, weiß der Kunde trotzdem nicht.

Tierschützer verwirren die Verbraucher mit einem Konkurrenzsiegel, das strengere Kriterien anlegt, aber kaum im Handel zu finden ist. Manche würden lieber gleich die Nation zu Vegetariern umerziehen.

Auch die Politik trägt seit Jahren außer Stapeln von Positionspapieren wenig zum Tierwohl bei. Nachdem das Landwirtschaftsministerium jahrelang die Verantwortung für bessere Bedingungen im Stall an Lebensmittelindustrie und Bauern abgeschoben hat, zieht Minister Christian Schmidt jetzt doch noch schnell ein Konzept für ein staatliches Tierschutzlabel aus der Schublade – im Wahlkampf kann das sicher nicht schaden.

Auch der Verbraucher hat ein Herz für Tiere. Doch wenn es um die Wurst geht, zählt am Ende oft das Geld. Zwar schimpfen die Menschen über die Auswüchse der Massentierhaltung. Doch das tägliche Stück (Billig-)Fleisch auf dem Teller gilt hierzulande vielen als Grundrecht. Das hat zuletzt der Aufschrei bewiesen, als das Umweltbundesamt eine höhere Mehrwertsteuer auf tierische Produkte forderte. Dabei ist die Rechnung klar: Wenn Nutztiere besser gehalten werden sollen, muss Fleisch teuerer werden.

Damit es den Tieren besser geht, müssten alle Interessengruppen Kompromisse eingehen und sich auf ein gemeinsames, für den Verbraucher verständliches Tierwohl-Siegel einigen.Vorbild könnte das vor 16 Jahren eingeführte staatliche Biosiegel sein, das sich fest etabliert hat.

Zusätzlich sind schärfere gesetzliche Bestimmungen für die Tierhaltung notwendig – und zwar europaweit. Denn deutsche Alleingänge bringen wenig, wenn ein erheblicher Teil des hier produzierten Fleisches exportiert wird und im Preiswettbewerb mit Erzeugnissen aus den Nachbarländern steht. Die Landwirte müssen die Möglichkeit haben, ihren Tieren ein besseres Leben zu bieten – ohne dadurch ihre eigene Existenz zu gefährden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort