Erinnerungen an Finanzkrisen "Tulpenfieber" zeigt ein Stück Wirtschaftsgeschichte

FRANKFURT · Dem atemlosen Handel mit Tulpen folgten Gewürze und Aktien. Wo Schulden zunehmen, steigt die Gefahr für die Anleger. Die erste recht gut dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte.

 Sophia (Alicia Vikander) und die Tulpen in einer Szene des Films „Tulpenfieber“, der diese Woche in die Kinos kommt.

Sophia (Alicia Vikander) und die Tulpen in einer Szene des Films „Tulpenfieber“, der diese Woche in die Kinos kommt.

Foto: dpa

Jan Brueghel der Jüngere hat sie etwa 1640 ins Bild gesetzt. Er malte eine Satire, in der Affen anderen Affen Zwiebeln verkaufen, Tulpenzwiebeln. Jetzt kommt die holländische Tulpenmanie ins Kino. Krisen haben im Dunkel der Lichtspieltheater Konjunktur. Auch im Film wurde die Finanzkrise aufgearbeitet, die sich mit der Pleite der Lehman-Bank im September 2008 weltweit Bahn brach. Oliver Stones Filme „Wall Street. Geld schläft nicht“ rührte zunächst und entsetzte dann das Publikum, das Einblick in die Köpfe von Investmentbankern bekam. „Der große Crash“ (2011) und „The Big Short“ (2015) setzten noch eins drauf. Nun geht es von der cineastischen Erklärung der jüngsten, vermeintlich überwundenen Krise in die Geschichte. „Tulpenfieber“ in der Regie von Justin Chadwick spielt Anfang des 17. Jahrhunderts und beschreibt, natürlich in eine Liebesgeschichte verpackt, die erste recht gut dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte.

Sie kommt an diesem Donnerstag in die deutschen Kinos. Tulpen waren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in die Niederlande gekommen, avancierten zum Blickfang in den Gärten des reichen Bildungsbürgertums. Von den 1630er Jahren an trieb der kommerzielle Handel mit Tulpenzwiebeln die Preise so, dass man ein hübsches Amsterdamer Grachtenhaus zum Preis einer Zwiebel kaufen konnte, auch wenn es eine „Semper Augustus“ sein musste. Bis sich 1637 die „Tulpenmanie“ als Spekulationsblase entpuppte und platzte.

Schulden sind eine Gefahr

Dass sie gut nachvollziehbar ist, hat auch die Wirtschaftsweise Isabel Schnabel mit einem Team junger Forscher angezogen. 23 Krisen der vergangenen 400 Jahre haben sie sich näher angeschaut. Es ging neben Tulpen um Eisenbahnen, Gewürze, Rüstungsgüter, Internetaktien und natürlich um Immobilien. Eine Erkenntnis: Egal, ob Tulpenzwiebel, Immobilie oder Aktie – die Schwere der Krise hänge nicht in erster Linie vom Vermögensgegenstand ab. „Wesentlich ist, ob es vorher einen Kreditboom gegeben hat, wie hoch der Verschuldungsgrad der Akteure war und ob sich die Finanzinstitute selbst an der Spekulation beteiligt haben.“ Soll heißen: Finanzierungen ohne ausreichend Eigenkapital machen krisenanfällig.

Das hat die Bankindustrie etwa in der fast vergessenen Krise von 1763 erlebt. Es war das Jahr, in dem der Siebenjährige Krieg (1756 bis 1763) endete, eine Art Weltkrieg, in dem Preußen, Habsburg und Russland vor allem um die Vorherrschaft in Mitteleuropa kämpften. Großbritannien und Frankreich stritten sich auch um Nordamerika und Indien. Es waren Kriegsjahre, in denen viel mit Rüstungsgütern, Gewürzen und anderen Luxuslebensmitteln wie Zucker gehandelt und gute Geschäfte gemacht wurden. Alles gern auf Kredit, auch auf kurz laufenden Kredit, und gern zu steigenden, ja inflationären Preisen, die noch dazu stark schwankten. Doch die Hoffnung, nach dem Krieg gehe der Aufschwung weiter, erfüllte sich nicht. Und als Preußen noch dazu nach dem Krieg eine Münzreform einführte, also eine Währungsreform, war das Desaster da: Die geldgebenden Banken vom Finanzplatz Amsterdam, die über Hamburger Banken Geld an Preußen ausgeliehen hatten, konnten von ihren Kunden die Handelskredite nicht mehr eintreiben. Das 1751 gegründete Amsterdamer Bankhaus de Neufville Brothers brach am 29. Juli 1763 zusammen. Niemand rettete die Bank. Daraufhin krachten Häuser in Amsterdam und Hamburg ein, insgesamt mehr als 100 Banken.

Immobilienpreise machen noch keine Sorgen

Das schafft die Parallele zur Finanzkrise von vor zehn Jahren, weil auch dort Banken mitspekuliert hatten – die IKB, die WestLB, die SachsenLB, die Hypo Real Estate und andere. Dagegen sei die Internetblase rund um den Neuen Markt zur letzten Jahrtausendwende zwar für viele schmerzhaft gewesen, weil sie Geld mit den Internet-Aktien verloren hatten. Doch sei hier Eigenkapital verloren gegangen. Die realwirtschaftlichen Auswirkungen seien vergleichsweise milde gewesen. Dass die Gesamtwirtschaft in eine schwere Krise gezogen worden sei, „das gab es nach der Dot-com-Krise tatsächlich nicht“, so Frau Schnabel. 2009 dagegen schrumpfte die wirtschaftliche Leistung in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um fast vier Prozent. Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber hatten Mühe, eine Entlassungswelle zu verhindern.

Die stark und schon lange steigenden Preise für Immobilien beunruhigen die meisten Beobachter etwa in der Bundesbank oder der Bankenaufsicht (noch) nicht. Eins ihrer Argumente: Die Kreditnachfrage habe alles in allem nicht angezogen. Und die Banken hätten auch ihre „Kreditstandards“ nicht gemindert, ihre Ansprüche an Eigenkapital und verfügbares Einkommen ihrer Kunden nicht gesenkt. Noch kann man also das „Tulpenfieber“ anschauen, ohne im Nacken eine deutsche Immobilienkrise zu spüren.

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