Autonomes Fahren Siemens testet in München das Roboterauto

München · Dass Autos eines Tages ohne Fahrer auskommen - das wirkt noch etwas unwirklich, ja gespenstisch. Wie das aussehen könnte, kann man bei Siemens beobachten. Die Münchner entwickeln das innerstädtische Verkehrssystem der Zukunft.

In München werden diese Einsitzer getestet.

In München werden diese Einsitzer getestet.

Foto: Siemens AG

Gleich kracht es. Das einsitzige Roboterauto fährt auf eine Straßeneinmündung zu. Den Sensoren des vollautonomen Fahrzeugs ist aber der Einblick durch einen in der Einmündung stehenden Lastwagen versperrt. Aus der schießt nun ein Pkw heraus. Schon einige Meter vorher bremst das Roboterauto aber fast aufreizend langsam, als könnte es um die Ecke sehen oder durch Hindernisse hindurch. Das hat es gewissermaßen auch – allerdings auf Umwegen. „Der Verkehr in der Stadt braucht eine Revolution“, sagt Michael Peter. Der Chef der Siemens-Mobilitätssparte will sie auf den Weg bringen und lüftet das Geheimnis des vorahnungsvoll bremsenden Roboterautos. Es sind Sensormasten am Straßenrand, die dem Wagen zugefunkt haben, dass hinter dem Lkw Gefahr lauert.

Kommunikation zwischen Auto und Infrastruktur

Sensorgespickte Roboterautos der Zukunft werden hochkomplexe innerstädtische Verkehrsszenarien nicht im Alleingang meistern können, warnt auch Houssem Abdellativ. „Die Intelligenz muss zwischen Automobil und Infrastruktur verteilt werden“, sagt der Experte für autonomes Fahren beim TÜV Süd. Genau das plant Siemens. „Wir legen über die erste Wahrheit des Autos die zweite Wahrheit der Infrastruktur und erhalten so eine neue Dimension an Sicherheit“, preist Peter die Idee an.

Getestet wird deren Funktionieren ab sofort auf einem 1,5 Kilometer langen Rundkurs auf dem Siemens-Firmengelände am Standort München-Perlach, der eine kleine Stadt für sich ist mit tagsüber 6000 Bewohnern, viel Lieferverkehr und jeder Menge Fußgängern. In einem Gesamtsystem vernetzt werden hier ein fünfsitziger Roboterbus, ein einsitziges Roboterauto und mehrere Sensormasten. Auto und Bus liefern Partner des vom Bundesumweltministeriums geförderten Projekts. Sensoren und vor allem die softwaregestützte Gesamtintegration, die auf ein Hochladen aller von Fahrzeugen und Sendemasten gesammelten Daten in die Cloud basiert, stammen von Siemens.

Was hier vor dem Hintergrund von immer mehr Diesel-Fahrverboten und wachsendem innerstädtischen Verkehr mit Hochdruck entwickelt wird, ist keine ferne Zukunft. 2021 will Siemens mit dem System in der Hamburger Hafencity erstmals weltweit öffentlichen Verkehrsraum intelligent vernetzen. Ein zweiter Anwendungsfall wird in Singapur aufgebaut. Der Siemens-Standort München-Perlach ist der Vorläufer dafür.

Das Roboterauto als Zubringer

Was hier speziell simuliert wird, ist die sogenannte erste und letzte Meile, erklärt Projektleiter Marcus Zwick. Roboauto und der Robobus sind Gefährte, mit denen Städter und Pendler vor der eigenen Haustür abgeholt und zu öffentlichen Verkehrsmitteln gebracht werden. Wie nötig das ist, erfährt Zwick täglich am eigenen Leib. Von der S-Bahnstation bis zum Arbeitsplatz benötigt er 25 Minuten, für die fünf Kilometer von seiner Wohnung bis zur S-Bahn aber öffentlich 45 Minuten. Intelligent vernetze letzte Meilen können das verkürzen.A

Soll totaler Verkehrskollaps oder steigende Verpestung von Innenstädten vermieden werden, ist mehr öffentlicher Nahverkehr unerlässlich, sagen Experten. Bis 2050 werden die Stadtbevölkerungen der Welt um zwei Milliarden Menschen wachsen. Per Individualverkehr ist das nicht zu stemmen. Schon heute verbrauchen Straßen in einer Metropole wie Singapur so viel Platz wie für Häuser als Wohnfläche zur Verfügung steht. Autonomes Fahren kann das Problem entschärfen, aber auch verstärken, je nachdem wie koordiniert es auf die Straße kommt.

Intelligente Planung nötig

Denn erst mal ist es verführerisch, sich vom Robotertaxi vor der Haustür abholen und gleich direkt zum finalen Zielort fahren zu lassen. Und wenn viele kleine Roboautos dann parallel auf den Straßen zu Bahnhaltepunkten fahren, ist verkehrstechnisch nichts gewonnen. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht das Gegenteil von dem erreichen, was wir eigentlich wollen“, sagt Carsten Markgraf. Das wäre mehr statt weniger Individualverkehr in der Stadt, erklärt der auf autonome Verkehrssysteme spezialisierte Professor der Hochschule Augsburg. Die Sicherheit des Verkehrs sei nur das Eine, dessen intelligente Planung das Andere. Beides will Siemens in den Griff bekommen.

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