Nach Proteststurm Regierung will Extrakosten für Diesel-Besitzer abwenden

Berlin · Noch wenige Tage - dann soll Klarheit herrschen, wie Politik und Autobranche im Kampf gegen zu schmutzige Luft durch Diesel-Abgase nachlegen wollen. Sollen womöglich auch Kfz-Halter dazu zahlen?

 Ein vom Abgas-Skandal betroffener VW-Dieselmotor vom Typ EA189 in der Werkstatt.

Ein vom Abgas-Skandal betroffener VW-Dieselmotor vom Typ EA189 in der Werkstatt.

Foto: Julian Stratenschulte

Diesel-Besitzer sollen aus Sicht der Bundesregierung für neue Maßnahmen gegen Fahrverbote in Städten nicht mit zur Kasse gebeten werden.

"Bei möglichen Hardware-Nachrüstungen für deutsche Diesel ist mein Ziel, die Selbstbeteiligung der Halter auf Null zu setzen", sagte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Dienstag.

Zuvor waren erste Überlegungen bekannt geworden, dass Autobauer für bestimmte Pkw bis zu einem Preis von 3000 Euro bis zu 80 Prozent der Kosten von Motor-Umbauten tragen könnten. Autobesitzer müssten dann womöglich bis zu 600 Euro dazu zahlen, wie zuerst das "Handelsblatt" (Dienstag) berichtete. Die SPD verlangt eine Finanzierung durch die Hersteller. Verbraucherschützer und Opposition reagierten empört.

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, die Autobauer hätten das Problem mit zu hohem Stickoxidausstoß verursacht. "Ich erwarte, dass der Verkehrsminister ein Konzept vorlegt, das die Hersteller in die Pflicht nimmt und nicht die Dieselfahrer." Auch SPD-Chefin Andrea Nahles forderte, die Firmen müssten zahlen. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch): "Die Idee der Hersteller, die Kosten der technischen Nachrüstung teilweise an ihre Kunden weiterzureichen, erschließt sich mir noch nicht."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lehnte eine Beteiligung der Autobesitzer ebenfalls ab. Es könne nicht sein, dass sie am Ende die finanzielle Last tragen müssten. Ein falsches Signal wäre auch, wenn die Steuerzahler als Ganzes dafür aufkommen müssten. In Bayern ist am 14. Oktober Landtagswahl.

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, nannte es "bitter und unverschämt", wenn Autobesitzer, denen nichts vorzuwerfen sei, 300 bis 600 Euro tragen sollten. "Hier erwarten wir ein Machtwort der Kanzlerin, dass Verursachergerechtigkeit weiterhin gelten muss." Die Linke-Verkehrsexpertin Ingrid Remmers sprach von einer "bodenlosen Frechheit". Die Autokonzerne müssten vollständig die Kosten einer flächendeckenden Nachrüstung tragen.

Umbauten an der Abgastechnik gehören zu den Überlegungen nach einem Treffen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Chefs der deutschen Autobranche am vergangenen Sonntag. Scheuer machte deutlich, dass eine Selbstbeteiligung Teil einer von dabei vorgelegten Diskussionsgrundlage war. Er habe aber auch kein Problem, sie aus dem Modell zu entfernen, sagte er in München. Darüber wolle er nun mit den Herstellern reden. Hintergrund des Gedankens ist demnach eine Wertsteigerung, wenn nachgerüstete Pkw in Verbotszonen fahren dürfen.

Die Regierung strebt bis diesen Freitag eine Verständigung auf ein Gesamtkonzept an. Dann ist ein Treffen bei Merkel geplant. Teilnehmen sollen neben Scheuer und Schulze auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Am Montag kommender Woche soll sich dann auch der Koalitionsausschuss von Union und SPD damit befassen.

Nach langem Streit hat das jüngste Urteil zu Fahrverboten von 2019 an in Frankfurt am Main Bewegung gebracht. Merkel, die mehrfach gegen Umbauten an Motoren argumentiert hatte, öffnete sich angesichts dessen dafür. In Hessen wird am 28. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Im Gespräch ist nach Angaben aus Koalitionskreisen nun, dass - in begrenztem Umfang - neue Euro-5-Fahrzeuge technisch nachgerüstet werden könnten.

Die Autobauer lehnen Hardware-Nachrüstungen als zu aufwendig ab und warnen vor technischen Nachteilen. Eine Haftung für Umbauten wollten sie nicht übernehmen, wie das "Handelsblatt" berichtete. Diese könnte bei den Anbietern von Umrüste-Technik liegen. Scheuer bekräftigte ebenfalls Bedenken. Seine erste Priorität seien attraktivere Anreize der Hersteller, damit mehr Autobesitzer alte Diesel in Zahlung geben und sich ein saubereres neues Auto kaufen. "Mein Ziel ist es auch, dass der Wertverlust für gebrauchte Diesel von den Autoherstellern ausgeglichen wird."

Im Gespräch sind solche Umstiegs-Angebote für Halter in 65 Städten mit Grenzwert-Überschreitungen durch Diesel-Abgase und in einem noch zu bestimmenden Umland für Pendler, wie es in Koalitionskreisen hieß. Infrage kommen könnte dies für den Kauf eines weniger umweltschädlichen Diesels, eines Benziners oder eines Elektro-Autos - möglicherweise nicht nur für Neuwagen, sondern auch für Gebrauchte. Nach dem Dieselgipfel 2017 hatten die deutschen Hersteller schon Prämien gestartet. Diese nahmen mehr als 200 000 Kunden in Anspruch, wie es im Juli hieß.

Die SPD-Fraktion untermauerte am Dienstag in einem Beschluss ihre Forderung nach Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Pkw der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 auf Kosten der Hersteller - wo technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar. "Wer Fahrverbote vermeiden will, darf sich nicht nur auf Busse, Kommunalfahrzeuge oder Transporter beschränken", sagte Umweltministerin Schulze der Deutschen Presse-Agentur. Scheuer hatte ein Förderangebot auch für Lieferdienste und Handwerker angekündigt - wie schon für Busse und Wagen etwa von Müllabfuhr oder Feuerwehr.

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