Kinder als Zielgruppe Süße Verführungen im Netz

Berlin · Lebensmittelhersteller umgarnen Kinder im Internet. Viele Hersteller haben ihre Werbeetats aufgestockt. Fettleibigkeit bleibt bei Jugendlichen ein Problem.

 Zu viele dicke Kinder: Ein Mottowagen nimmt im Karneval das Problem auf die Schippe.

Zu viele dicke Kinder: Ein Mottowagen nimmt im Karneval das Problem auf die Schippe.

Foto: picture-alliance/ dpa

Die Hersteller von Lebensmitteln umgarnen im Internet verstärkt Kinder. Vor allem eher ungesunde Produkte werden verstärkt beworben. Das geht aus einer Studie der Uni Hamburg für den AOK-Bundesverband hervor, für die 301 Produktportale der Industrie untersucht wurden.

„Mehr als 60 Prozent aller Webseiten beinhalten spezielle Elemente, mit denen Minderjährige gezielt zum Konsum animiert werden“, sagt der Autor der Studie, Tobias Effertz. Dabei haben sich viele Unternehmen einer europäischen Selbstverpflichtungserklärung zum Verzicht auf Kindermarketing angeschlossen. Doch Effertz zufolge blieb diese Zusage weitgehend wirkungslos.

Forscher Effertz hält das Online-Marketing für besonders einflussreich auf das Konsumverhalten von Kindern. Neu ist hier insbesondere der immer häufigere Auftritt der Markenfirmen in sozialen Netzwerken wie Facebook. Im Unterschied zur Fernsehwerbung animieren die Hersteller die jungen Konsumenten zur aktiven Auseinandersetzung mit einem Produkt oder einer Marke. „Sie liken etwas, die teilen etwas“, erklärt der Wissenschaftler. Wenn zum Beispiel Videos an Freunde weiterverteilt werden, genieße der Inhalt ein höheres Vertrauen bei den Empfängern als eine normale Werbebotschaft.

Die Industrie setzt laut Studie kindgerechte Instrumente ein. Comicfiguren oder Idole, Gewinnspiele oder Fanartikel, Quiz oder Fragebögen binden die Aufmerksamkeit der Jüngsten. Beliebt sind auch Computerspiele, bei denen der Nachwuchs die Logos der Marken kennenlernt. Auch Gesundheitsversprechen sollen die kleinen Konsumenten ködern.

Effertz unterscheidet vier Typen von Kindermarketing. Danach setzen Unternehmen wie Coca Cola oder Red Bull auf die sozialen Netzwerke, insbesondere auf Facebook. Dort gäbe es Gewinnspiele, werde über Events informiert und mit den Kindern kommuniziert. Auf klassisches Kindermarketing verlässt sich zum Beispiel Haribo eher. Dort können die Jungs und Mädchen sich durch den Geschenke-Wald klicken.

Eine weitere Strategie ist die Ansprache der gesamten Familie, die laut Effertz besonders von Coca Cola, Danone und McDonalds betrieben werde. „Das ist eine Alibifunktion“, kritisiert der Forscher, Es könne auch zu familiären Konflikten führen, wenn die Kinder beispielsweise bestimmte Produkte wollen, die ihre Eltern ablehnen. Ein vierter Typ ist die Werbung mit positiven Aussagen, wie der Verbindung eines Einkaufs mit einer Spendenaktion. Die Unternehmen mixen sich aus diesen vier Elementen jeweils ihre eigene Strategie.

Zusammenhang zwischen Werbung und Übergewicht bei Kindern

Besonders auffallend ist, dass der Werbeaufwand im Netz gerade für Produkte zunimmt, die besonders viel Zucker, Fett oder Salz enthalten. „Damit wir dieses Problem in den Griff bekommen, brauchen wir vor allem im Online-Bereich und im TV ein Kindermarketingverbot für Lebensmittel“, erläutert der Präventionsleiter der AOK, Kai Kolpatzik.

Die Branche sperrt sich gegen jede Einschränkung. „Ein Werbeverbot bringt keine Lösung“, sagt der Chef des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), Christoph Minhoff. Wer Kinder schützen wolle, müsse sie zu urteilsfähigen und selbstbestimmten Konsumenten heranwachsen lassen.

Das Unternehmen Ferrero bestreitet, die Selbstverpflichtung nicht einzuhalten. Zum Konzern gehört zum Beispiel die Marke „Kinder“. „Unsere Werbung richtet sich nicht an Kinder unter zwölf Jahren“, erklärt das Unternehmen. Dies werde von unabhängigen Dritten regelmäßig überprüft. Laut Effertz fällt aber gerade Ferrero durch eine häufige Kinderansprache auf.

Die Kinder in Deutschland sind einer Welle von Werbebotschaften ausgesetzt. Die 6- bis 13-Jährigen sehen Effertz zufolge jährlich rund 15 000 Fernsehwerbespots. Die Zahl der Reklameberührungen im Internet setzt er auf wenigstens 2800 an. Dafür geben die Lebensmittelhersteller auch Milliardenbeträge aus.

Die Wirkung ist laut AOK-Bundesverband fatal. „Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Kindermarketing und Adipositas“, sagt Kolpatzik. Diese Fettlebigkeit stellen Mediziner inzwischen bei fast jedem fünften Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren fest. Diese Anlage setzt sich mit den Jahren fort. Laut AOK sind zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen adipös.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort