Gegen Schäubles Rat Portugal als Krisengewinner

Brüssel · In Lissabon hat sich ein mutiger Regierungschef gegen den Brüsseler Sparkurs erfolgreich durchgesetzt. Noch bleibt aber viel zu tun.

Wenn Mário Centeno als Chef der Eurogruppe wie am Montag nach Brüssel kommt, spricht er selten über Portugal. Obwohl es sein Heimatland ist und der parteipolitisch unabhängige Wirtschaftsfachmann als Finanzminister an dem kleinen Wunder der Gesundung mitgewirkt hat. Der 52-Jährige, der im Kreis der 19 Euro-Finanzminister den strengen Sparkurs der Währungsunion pflichtgemäß verteidigt, tat am Südzipfel der EU genau das Gegenteil. An der Seite von António Costa, dem langjährigen sozialdemokratischen Bürgermeister von Lissabon, der im November 2015 mit einer Minderheitsregierung ins Amt kam, beendete er den Sparkurs seiner konservativen Vorgänger.

Heute steht Portugal zwar nicht glänzend und sorgenfrei da, gilt aber dennoch als Musterknabe in der EU-Familie. „Es war ein Irrtum zu glauben, man könne die Wirtschaft mit drastischer Kürzung der Löhne und exzessiven Einschnitten in den Sozialstaat sanieren“, sagte Costa vor einigen Monaten.

Seine Regierung warf das Ruder herum: Die Sozialdemokraten erhöhten die bereits gekürzten Mindestlöhne und Pensionen, führten Urlaubstage wieder ein und nahmen Steuererhöhungen zurück. Gleichzeitig wurde die Reichensteuer nach oben gesetzt sowie die Erbschafts- und Vermögensabgabe angehoben. Privatisierungen wurden beendet.

„Portugal macht einen schweren Fehler“, grummelte der damalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Brüssel drohte Lissabon. Daraufhin griff Costa („Ich finde die Euro-Stabilitätsregeln nicht gut, aber ich respektiere sie“) zu einem Trick. Er beließ die gerade beschlossenen Erleichterungen für die Bürger und kürzte die Staatsausgaben an anderer Stelle – zum Beispiel bei Gesundheitsausgaben.

Das Ergebnis kann sich laut den Unterlagen der Eurogruppe sehen lassen: Die Arbeitslosenquote ging von 12,4 Prozent im Jahr 2015 auf mittlerweile unter acht Prozent zurück. Das Haushaltsdefizit lag im vergangenen Jahr bei nur einem Prozent – der beste Wert in der 42-jährigen Geschichte der portugiesischen Demokratie. Das Wachstum betrug im Vorjahr 2,7 Prozent.

„Die Menschen hatten zwar mehr Geld in der Tasche, was aufgrund der indirekten Steuern aber nur ein subjektives Gefühl war“, sagen Beobachter wie die Publizistin Clara Ferreira Alves. Die Portugiesen hätten sich am Tropf Brüssels schlecht gefühlt. „Und ein depressives Volk ist weder produktiv noch wettbewerbsfähig.“ Die Regierung Costa propagierte dagegen die Öffnung für die Globalisierung, unterstützte Startups, Gründer-Initiativen und Industrieansiedlungen.

Gründerzentren an vielen Orten

Inzwischen sind vielerorts Gründerzentren entstanden, in denen Software geschrieben werden oder Anwendungen für die digitale Welt entstehen. Google baut einen neuen Standort auf, Mercedes ebenfalls. Der Tourismus boomt wie nie zuvor: 60 Millionen Übernachtungen notierten die Statistiker im Vorjahr, ein Rekordwert.

Trotzdem fallen Costa nun die Kürzungen im Staatsetat vor allem bei den Investitionen auf die Füße. Gesundheitspersonal, Beamte, der öffentliche Dienst und die Gewerkschaften fordern nach langem Lohnstopp endlich auch ein Stück vom Kuchen.

Doch der Staat ist weiter überschuldet – mit 125,7 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. Aber die Euro-Familie sieht die Erfolge, will sie nicht riskieren und billigte deshalb am Montag weitere Anpassungshilfen. Portugals Erfolgsgeschichte soll auf jeden Fall fortgesetzt werden.

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