Interview mit VW-Chef Matthias Müller: Ich will Sicherheit für Diesel-Kunden

Düsseldorf · Volkswagen-Chef Matthias Müller spricht im Interview über die Folgen der Abgasaffäre und die Zukunft der Elektromobilität.

Unter normalen Umständen hätte Matthias Müller in diesen Wochen Urlaub. Doch die Zeiten sind nicht normal – und so muss der Volkswagen-Chef die freien Tage immer wieder unterbrechen, um sich mit der Frage zu beschäftigen, wie es mit dem Diesel in Deutschland weitergeht. Das Interview mit Müller führten Antje Höning, Florian Rinke und Stefan Weigel.

Herr Müller, am 2. August treffen sich Vertreter der Bundesregierung und die Chefs der Autohersteller zum großen Diesel-Gipfel. Können Sie da momentan im Urlaub noch abschalten?

Matthias Müller Ich versuche es zumindest. Aber es gibt ja gerade verschiedene Themen, die keine zwei oder drei Wochen Aufschub dulden.

Der Spiegel berichtet, dass sich VW mit anderen deutschen Autoherstellern abgesprochen hat, insbesondere zur Abgasreinigung. Was ist da dran? Stimmt es, dass Sie eine Art Selbstanzeige bei den Kartellbehörden eingereicht haben?

Müller Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der Spiegel-Berichterstattung äußern wir uns nicht.

Was erhoffen Sie sich vom Diesel-Gipfel angesichts drohender Fahrverbote in vielen Innenstädten?

Müller Ich erwarte vor allem, dass es auf Bundesebene eine Lösung gibt, die für unsere Kunden Verbindlichkeit herstellt. Die Verunsicherung ist ja groß. Das spüren wir auch an den Diesel-Bestellungen, die merklich zurückgegangen sind. Dabei sind moderne Diesel der neuesten EURO6-Generation sparsam und sauber. Ohne sie wird es auf mittlere Sicht schwierig mit den Klimazielen. Und wenn die Behörden den Kunden keine Zusicherung geben, dass sie weiter mit ihrem Diesel in die Städte dürfen, können wir nachrüsten so viel wir wollen.

Wären Sie denn zu vollständigen Nachrüstungen bereit?

Müller Allein in Deutschland haben wir bereits über 1,8 Millionen Autos umgerüstet, aber da kämen sicherlich noch einige dazu. Natürlich wären wir dazu bereit, der Vorschlag kam ja von uns.

Das heißt, Sie würden dann für die Kunden auch die gesamten Kosten übernehmen?

Müller Klar. Das haben wir ja bei der bisherigen Umrüstung genauso gehalten.

Für welche Fahrzeuge würden die Nachrüstungen gelten?

Müller Das beträfe einen Teil der Euro-5-Diesel, bei denen sich die Probleme mit einem Software-Update beheben lassen. Wir könnten aber auch die Euro-6-Fahrzeuge unter Umständen noch verbessern. Und wir haben ja gerade angekündigt, dass wir für Kunden in Europa und weiteren Märkten, die ein Modell mit einem Sechszylinder- und Achtzylinder-Dieselmotor der EU5- und EU6-Generation fahren, ein Nachrüstprogramm anbieten. Insgesamt können damit bis zu 850.000 Autos eine neue Software bekommen. Dieser Service gilt für Modelle der Marken Audi, Porsche und Volkswagen, die mit baugleichen Motoren ausgerüstet sind. Im Schwerpunkt wird es sich dabei um Audi-Modelle handeln. Und natürlich wird auch diese Aktion für alle Kunden kostenfrei durchgeführt.

Wären die Stickoxid-Probleme damit denn gelöst und Fahrverbote vom Tisch?

Müller Die wären damit nicht vollkommen beseitigt, aber zumindest reduziert. Fahrverbote sehen wir generell als falschen Schritt an. Und bitte nicht vergessen: Das Auto ist ja nur ein Teil des Problems. Aber um es klar zu sagen: Wir stehen zu unserer Verantwortung.

Es ist aber doch ein Unterschied, ob man bei Abgaswerten betrügt.

Müller Klar. Ich will und werde das auch gar nicht verharmlosen. Das wird mir ja gerne unterstellt, darum sage ich es noch mal explizit: Es ist ein Dieselskandal gewesen, der sich inzwischen zu einem Abgasskandal ausgeweitet hat. Ich bin deshalb auch der Letzte, der nun mit dem Finger auf andere zeigt.

Zum Beispiel Daimler, wo auch ein Rückruf wegen Abgas-Tricks droht?

Müller Schadenfreude ist da fehl am Platz. Jeder sollte vor der eigenen Haustüre kehren. Meine Aufgabe ist es, unsere eigenen Probleme zu lösen. Das heißt vor allem: das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. Und da sind wir auf einem guten Weg, wie die jüngsten Auslieferungszahlen zeigen.

Viele Kunden haben sich einen Diesel gekauft, weil Sie dachten, das sei sinnvoll für die Umwelt. Jetzt müssen sie feststellen, dass es doch nicht so ist – und sie ihn wahrscheinlich auch nicht mehr verkauft bekommen.

Müller Was Volkswagen angeht, kann ich mich bei unseren Kunden nur entschuldigen. Wir stellen das Unternehmen deswegen auch auf den Kopf, damit so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist.

Warum entschädigen Sie deutsche Kunden nicht wie die in den USA?

Müller Weil die Ausgangssituation eine komplett andere ist – rechtlich und technisch.

Die deutschen Kunden sind dadurch trotzdem die Dummen.

Müller

Uns sind alle Kunden gleich wichtig. Dass Manche enttäuscht sind, kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber die Faktenlage ist völlig unterschiedlich: In Europa und Deutschland gibt es einen angeordneten Rückruf. Wir bringen die Fahrzeuge in den Werkstätten in Ordnung. Bei Verbrauch, Leistung oder Geräuschemissionen entstehen keine Nachteile. Und nur ganz wenige Kunden sind unzufrieden mit der Service-Maßnahme. Wo es Probleme gibt, lösen wir das kulant. In Amerika, wo das Rechtssystem ganz anders funktioniert, ist aufgrund der deutlich strengeren NOx-Emissionsgrenzwerte auch die technische Situation völlig anders.

Sie könnten ja freiwillig Entschädigungen zahlen.

Müller Als Unternehmen haben wir Verantwortung für unsere Kunden, aber eben auch für 620.000 Mitarbeiter, Lieferanten und unsere Aktionäre. Mir ist klar, dass man diese Debatte nicht gewinnen kann. Das ist wie die Diskussion über Managergehälter – die am Beispiel Volkswagen festgemacht wurde, weil es ja nur wir sind, die so viel verdienen,...

... naja, kein Dax-Chef hat je so viel verdient wie Ex-VW-Chef Martin Winterkorn mit 17 Millionen Euro.

Müller Ich bin aber nicht Martin Winterkorn. Ich bin Matthias Müller.

Sie ärgert, dass nach Bekanntwerden des Abgasskandals öffentlich ein Boni-Verzicht gefordert wurde.

Müller Wir haben damals alle auf viel Geld verzichtet, bei mir waren es beispielsweise 40 Prozent. Das hat man öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Hätte ich auf weitere zehn Prozent verzichtet, wäre es wahrscheinlich immer noch nicht genug gewesen.

Und anderswo ist es anders?

Müller Schauen Sie sich die USA an: Da steht Volkswagen inzwischen wieder viel besser da. Dort wird anerkannt, dass wir als Unternehmen für unsere Fehler in jeder Hinsicht gebüßt und bezahlt haben. Nun heißt es: Die haben eine zweite Chance verdient.

Vielleicht liegt das ja auch daran, dass Sie dort mehr für die Kunden getan haben.

Müller Das liegt vor allem daran, dass man in den USA anders mit Niederlagen und Scheitern umgeht.

Mussten Sie lernen, sich ein dickeres Fell zuzulegen angesichts der Kritik?

Müller Ja klar. Ich wurde ja als Porsche-Chef fünf Jahre lang gelobt – und kaum war ich Volkswagen-Chef, war ich plötzlich der große Buhmann…

Stimmt es, dass Sie einem Leserbrief-Schreiber mal persönlich zurückgeschrieben haben, weil Sie dessen Meinung so geärgert hat?

Müller Kritik ist völlig ok. Aber in dem Fall fand ich die Wortwahl unter der Gürtellinie. Ich habe ihm dann einen Brief geschrieben – und dann kam auch ein Brief zurück, in dem er sich für seine Aussagen entschuldigt hat. Das tut natürlich auch mal gut.

Macht Ihnen der Job denn noch Spaß?

Müller Es gibt ja neben der Dieselkrise auch noch den positiven Teil meines Jobs – zum Beispiel das operative Geschäft, wo es super läuft. Das Jahr 2017 hat sich bislang für Volkswagen betriebswirtschaftlich überaus erfolgreich entwickelt. Meine eigentliche Aufgabenstellung ist aber die Arbeit an der Zukunft.

Wie sieht die aus?

Müller Jeder weiß, dass die Zukunft elektrisch fährt. Dafür haben wir einen dezidierten Plan aufgesetzt, mit mehr als 30 neuen, reinen E-Autos bis 2025. Ich glaube, schon in den nächsten zwei bis drei Jahren wird das Interesse nach und nach steigen. Es gibt ja jetzt schon gute Elektroautos.

Tesla zum Beispiel.

Müller Auch VW. Ich fahre als Dienstwagen zum Beispiel gerade einen Golf E.

Und privat?

Müller Am liebsten einen Porsche 911 oder einen VW-Bus. Ich war sehr gerne bei Porsche und irgendwann vom 911 infiziert. Aber um auf meinen Dienstwagen zurückzukommen...

... den E-Golf.

Müller Mit dem komme ich mit einer Ladung bei angepasster Fahrweise knapp 300 Kilometer weit. Im Alltag langt das völlig. Natürlich müssen die Lade-Infrastruktur und die Ladezeiten noch besser werden. Und auch die Preise werden sinken. Die nächste Generation der E-Autos wird rund 600 Kilometer weit kommen und sich auf dem Preisniveau eines Diesels bewegen.

Ihr VW-Markenchef hat gesagt, man werde Tesla an der Linie von 30.000 Euro stoppen.

Müller Wir haben alle großen Respekt vor Tesla. Es gibt aber einen Unterschied: Die Firma hat im letzten Jahr 85.000 Autos gebaut und dafür unverhältnismäßig viel Geld ausgegeben. Wir verkaufen zehn Millionen Autos und hatten 2016 mehr als 7 Mrd. Euro Operatives Ergebnis – trotz Sondereinflüssen in Milliardenhöhe durch die Dieselkrise. Das ist schon ein Unterschied.

Ein kleiner.

Müller Ich bin gespannt, wie sich der Markt entwickelt, wenn ab nächstem Jahr unsere Modelle auf den Markt kommen: Erst ein Elektro-Audi, dann der Porsche Mission E. Und dann geht es Schlag auf Schlag bei VW weiter...

Bislang hat nicht mal die E-Auto-Prämie für viel mehr Absatz gesorgt.

Müller Die hat sich nicht so entwickelt, wie gehofft. Das stimmt.

Was könnte die Politik noch tun?

Müller Es sind ja oft die kleinen Dinge, zum Beispiel, dass man heute schon umsonst parken oder die Busspur benutzen darf. Davon brauchen wir noch mehr. Unsere Kundenbefragungen sagen aber vor allem, dass die Infrastruktur der springende Punkt ist, damit Vertrauen in die Technologie wachsen kann.

Wäre auch ein Deal vorstellbar, bei dem die Branche Unterstützung bei der E-Mobilität bekommt und sich dafür auf einen verbindlichen Termin für den Ausstieg aus dem Dieselantrieb festlegt?

Müller Wenn man mit entsprechenden Vorlaufzeiten agiert, kann ich mir vorstellen, dass das funktioniert. Wir sind darüber im Gespräch mit der Politik.

Könnten Sie nicht als Hersteller auch mehr tun? Wie viele Elektroauto-Parkplätze haben Sie denn zum Beispiel an Ihrer Konzernzentrale?

Müller (lacht) Ich hoffe, dass es bald mehr sind. Bei uns in der Tiefgarage ist gerade jeder Parkplatz mit einer Steckdose ausgestattet worden, und aktuell starten wir ein Projekt, um auch die Mitarbeiterparkplätze flächendeckend mit E-Auto-Ladesäulen zu versorgen. Wir wollen das Unternehmen einfach bereit machen für die Zukunft.

Wie soll die aussehen?

Müller Neben der Technik geht es uns auch um eine neue Unternehmenskultur. Wir wollen Volkswagen jünger, weiblicher und internationaler machen. Und weniger hierarchiegläubig. Aber so ein Wandel braucht Zeit.

Wie ändert man die Kultur?

Müller Man muss es zuallererst vorleben. Als ich das erste Mal in die Kantine zum Mittagessen gegangen bin, ist einigen Mitarbeitern beinahe die Gabel im Mund stecken geblieben. Mittlerweile behandeln sie mich in der Regel wie jeden anderen Kollegen.

Im Grunde wollen Sie also weg von dem System der Kumpanei und Obrigkeitshörigkeit unter Winterkorn.

Müller Wissen Sie, heute stellen wir uns alle hin uns sagen: Es war eine Unkultur. Wir vergessen aber, dass dieses Unternehmen über Jahre hinweg höchst erfolgreich war und dass Ferdinand Piëch (Anm. d. Red. der damalige Aufsichtsratschef) und Martin Winterkorn von den Medien, ich weiß nicht wie oft, zum Manager des Jahres gewählt wurden. Auch rückwirkend ist vieles richtig, was sie gemacht haben.

Aber?

Müller Die beiden haben sich aus heutiger Sicht zu wenig damit beschäftigt, wie die Welt in zehn oder 20 Jahren aussehen könnte. Volkswagen hatte ja nie eine echte Strategie-Abteilung. Volkswagen war ein hierarchisch organisierter und obrigkeitshöriger Konzern und viele Entscheidungen wurden ganz oben getroffen – speziell Produktentscheidungen.

Haben Sie noch Kontakt zu Winterkorn?

Müller Wir hatten immer Kontakt, er ist mir ja nicht böse, nur weil ich sein Nachfolger bin.

Wie sieht denn die Welt in 20 Jahren aus? Als Porsche-Chef haben Sie ja mal gesagt, das autonome Fahren sei eine „Hype“. Sehen Sie das immer noch so?

Müller (lacht) Naja, dass ich damals als Porsche-Chef eine etwas andere Meinung hatte, möge man mir verzeihen. Allerdings glaube ich weiterhin, dass die Dinge nicht so schnell kommen werden, wie es oft dargestellt wird. Es wird eine Weile dauern, bis sich die Menschen an so hochkomplexe Systeme gewöhnt haben und ihnen vertrauen.

Wie wird sich das entwickeln?

Müller Ich glaube, dass sich das autonome Fahren zunächst mal beim Transport von Waren durchsetzen wird. Der Individualverkehr folgt dann Schritt für Schritt.

Sind Sie jemand, der sich viel mit diesen digitalen Themen auseinandersetzt und alles direkt ausprobiert?

Müller Ich habe bei Audi zwar 15 Jahre in der IT gearbeitet. Privat bin ich aber eher konservativ. Ich habe natürlich ein Smartphone, nutze aber wahrscheinlich nur 20 Prozent der Funktionalität. Das liegt vielleicht an meinem Alter von 64. Ich hatte aber auch immer so viel mit anderen Themen zu tun, dass ich nie die Zeit hatte, mich zum Nerd zu entwickeln.

Und beruflich?

Müller Da setzen wir uns natürlich sehr intensiv damit auseinander. Auf allen Ebenen, vom Produkt über neue App-basierte Mobilitätsdienste bis zur Produktion.

Wird es bald einen Digital-Chef im Vorstand geben, so wie es jetzt einen China-Vorstand gibt?

Müller Das will ich nicht ausschließen.

Reisen Sie dafür demnächst auch nochmal ins Silicon Valley? Oder meiden Sie die USA lieber?

Müller Warum sollte ich? Das ist ein schönes Land und für ein für uns sehr wichtiger Markt.

Andere VW-Manager haben da aktuell ja etwas mehr Bauchschmerzen.

Müller Gegen mich liegt ja nichts vor. Ich werde deshalb auch im Herbst wieder in die USA fliegen, allerdings nicht ins Silicon Valley, sondern an die Ostküste um mich dort mit Politikern zu treffen.

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