Staatsfinanzen Machtpoker um Italiens Schuldenhaushalt

Berlin · Die EU-Kommission muss den Budgetstreit mit Rom gewinnen, sonst ist der Euro in Gefahr.

 Arbeiter auf einem Gerüst in Vatikanstadt: Junge Italiener haben es schwer, einen Job zu finden.

Arbeiter auf einem Gerüst in Vatikanstadt: Junge Italiener haben es schwer, einen Job zu finden.

Foto: picture alliance / Michael Kappe

Italien, immer wieder Italien. Jean-Claude Juncker weiß in seinem langen Leben als Europapolitiker ein Lied davon zu singen. Italien sei bisher das einzige EU-Land, das alle Möglichkeiten des EU-Stabilitätspakts für Ausnahmen von strengen Haushaltsregeln ausgeschöpft habe. Deshalb sei seiner Kommission auch oft vorgeworfen worden, zu großzügig mit Rom zu sein. „Wir waren sehr freundlich, mild und positiv, wenn es um Italien ging. Weil Italien Italien ist“, sagte der Kommissions-Chef diese Woche.

Aber jetzt hat Juncker die Nase voll von Italiens Eskapaden: Die jüngsten Pläne zur drastischen Erhöhung des Haushaltsdefizits stellten eine „noch nie dagewesene“ Abweichung von den Regeln des Stabilitätspakts dar, heißt es in einem Brandbrief der Kommission. Der von der populistischen Regierung aus der europakritischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega vorgelegte Haushalt für 2019 sei nicht genehmigungsfähig.

Rom will die Neuverschuldung um 2,4 Prozent in die Höhe treiben, dabei übersteigt die Gesamtverschuldung Italiens schon jetzt mit gut 130 Prozent der Wirtschaftsleistung die zulässige Maastricht-Grenze von 60 Prozent um mehr als das Doppelte. Wegen seiner hohen Schuldenstandsquote muss Italien strengere Defizitwerte einhalten als andere EU-Länder, für die die Drei-Prozent-Defizitgrenze gilt. Würde Brüssel einen solch offenkundigen Verstoß gegen die gemeinsamen Regeln dulden, geriete die Euro-Zone in Gefahr, weil sie ihre Glaubwürdigkeit verlöre.

Fachleute wie Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, sehen nur zwei Wege aus dem Dilemma: Entweder Rom dreht doch noch bei – oder es verabschiedet sich aus dem Euro mit allen gefährlichen Folgen, die das vor allem für das Land selbst bedeuten würde. Denn dass die übrigen Euro-Länder Italien im Fall der drohenden Staatspleite aus der Patsche hülfen, wie sie das bei Griechenland getan haben, komme nicht infrage bei einem Land, das sich schlicht nicht an Regeln halte.

„Die Eskalation des Konflikts kann nur von Seiten der italienischen Regierung verhindert werden“, sagt auch Michael Hüther, der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die EU-Kommission habe keine andere Wahl, als die Regeleinhaltung strikt einzufordern. Abgesehen davon, dass dies von den übrigen Euro-Staaten zu Recht abgelehnt würde, reichen die Ressourcen des Euro-Rettungsschirms ESM für die Rettung der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone ohnehin nicht aus.

Die Ökonomen setzen darauf, dass die Reaktionen der Finanzmärkte die Regierung in Rom noch rechtzeitig zur Vernunft bringen werden. „Die Disziplinierung wird unweigerlich über die Kapitalmärkte stattfinden müssen“, sagt Hüther. Die Renditen für italienische Staatsanleihen – also die Zinsen, die der Staat den Käufern versprechen muss – sind bereits deutlich gestiegen. Sie werden weiter in die Höhe gehen, wenn Ratingagenturen Italien in den kommenden Wochen schlechter einstufen und sich viele Banken und Versicherungen deshalb automatisch von italienischen Anleihen trennen müssen.

Diese Entwicklung ist allerdings nicht ungefährlich für die Euro-Zone insgesamt. „Das Worst-Case-Szenario wäre ein Käuferstreik für italienische Anleihen. Dann würde sich gegen Rom Druck aufbauen. Und dann könnte es fatal sein, wenn ein weiterer Schock hinzu käme, etwa ein Konjunktureinbruch oder der Zusammenbruch einer Bank“, sagt Dekabank-Ökonom Kater. „Es kann alles noch gut gehen, wenn sich die Weltwirtschaft hält. Aber spätestens im nächsten Konjunkturrückgang wird sich zeigen, dass die Annahmen der italienischen Regierung falsch sind, und dann kann es gefährlich werden.“

Auch Ifo-Chef Clemens Fuest warnt alle Akteure vor einem Spiel mit dem Feuer. Dabei wäre Italien durchaus in der Lage, sich selbst aus der Schuldenkrise zu befreien. Das dürfte zwar Jahre und viel Disziplin erfordern, ist aber angesichts der gegenüber Griechenland größeren Wirtschaftskraft und der geringeren Auslandsverschuldung gut möglich. „Um wieder mehr Wachstum zu erreichen, braucht Italien Strukturreformen, unter anderem Reformen des Arbeitsmarktes“, erklärt Fuest.

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