DAK-Studie Immer mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen

Berlin · Hinter Krankschreibungen von Arbeitnehmern stecken zunehmend seelische Probleme. Viele gehen mit diesem Thema offener um als früher.

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Foto: picture alliance / Arno Burgi/dp

Eine Krankschreibung wegen psychischer Probleme? Noch vor 20 Jahren lag die Hemmschwelle hoch, sich dem Arzt anzuvertrauen – zu groß war die Angst davor, zusätzlich noch stigmatisiert zu werden. Inzwischen wagen es jedoch mehr Menschen, wegen seelischer Erkrankungen Hilfe zu suchen, und sie nehmen sich eher die nötige Zeit, um wieder gesund zu werden. Das ist das Ergebnis des „Psychoreport 2019“ der Krankenkasse DAK Gesundheit. „Vor allem beim Arzt-Patienten-Gespräch sind psychische Probleme heutzutage kein Tabu mehr“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm am Donnerstag. „Deshalb wird auch bei Krankschreibungen offener damit umgegangen.“

Doch auch heute reagieren nicht alle Betriebe verständnisvoll genug auf diese äußerlich nicht direkt erkennbaren Krankheiten, kritisiert Storm. „Arbeitgeber müssen psychische Belastungen und Probleme aus der Tabuzone holen und ihren Mitarbeitern Hilfe anbieten.“ Der offenere Umgang mit psychischen Erkrankungen führt jedoch jetzt schon dazu, dass sich immer mehr Arbeitnehmer – Männer wie Frauen – deswegen krankschreiben lassen. Die Zahl der dadurch verursachten Fehltage ist der DAK zufolge allein in den vergangenen zehn Jahren um 150 Prozent gestiegen.

Seit den 90er Jahren hat sich die Zahl der psychisch verursachten Krankschreibungen mehr als verdoppelt, während die Zahl aller Erkrankungen nur um ein knappes Drittel angewachsen ist. Psychische Erkrankungen sind jetzt die dritthäufigste Ursache für Ausfälle nach orthopädischen Problemen und Atemwegserkrankungen. Die Untersuchung bestätigt einen langfristigen Trend: Während vor 40 Jahren nur eine von 50 Krankschreibungen auf mentale Probleme entfiel, ist es heute jede sechste, wie bereits aus dem BKK Gesundheitsreport hervorgeht. Zudem fällt die Dauer psychischer Krankheiten bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz rund dreimal länger aus als die anderer Erkrankungen. Das bedeutet: Die Zahl der Fehltage ist besonders stark hochgegangen.

Angststörungen, Depression und ähnliche Erkrankungen sind zudem die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit in Deutschland. Die Rentenversicherung des Bundes hatte deswegen guten Grund, die Lage ihrerseits zu analysieren. Die Fachleute dort vermuten ebenfalls, dass die psychischen Leiden heute einfach häufiger erkannt werden – und nicht, dass eine Epidemie von Depression und Burnout grassiert.

Die meisten Fehltage wegen psychischer Erkrankungen verzeichnet die DAK bei Mitarbeitern der Verwaltung – unklar ist jedoch, ob hier die Belastung besonders hoch ist oder die Bereitschaft, mit den Problemen offen umzugehen. Am niedrigsten liegt sie in Restaurants, Supermärkten und Lebensmittelfirmen sowie in der IT-Branche. Generell sind Frauen stärker betroffen als Männer.

Deutschland steht mit dem Trend nicht allein da. Der „Lancet Report“ zur internationalen Entwicklung von psychischen Erkrankungen verzeichnet einen „dramatischen“ weltweiten Anstieg der Fallzahl in den vergangenen 25 Jahren. Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge sind Depressionen heute die zweithäufigste Volkskrankheit.

Doch Experten weisen auch hier darauf hin, dass der statistische Anstieg zumindest in den entwickelten Ländern auch auf ein stärkeres Bewusstsein für den Ernst psychischer Schwierigkeiten zurückzuführen sein könnte. Patienten sind heute eher bereit, sich jemandem anzuvertrauen; Ärzte tun sich leichter damit, die Diagnose zu stellen. Heute verschreiben sie in den USA fünfmal häufiger Antidepressiva als noch 1985.

Unterdessen kommt laut DAK-Studie die Diagnose „Burnout“ wieder zurück. Nach einem Tief der Burnout-bedingten Fehltage im Jahr 2016 ist deren Zahl 2018 wieder leicht angestiegen. Es sind hier vor allem bei Arbeitnehmerinnen über 60 Jahre, bei denen Probleme mit der Lebensbewältigung und Depression aufgrund langfristiger Erschöpfung festgestellt werden. Generell gilt derzeit, dass die Zahl der psychisch bedingten Krankschreibungen mit dem Alter zunimmt: Bei den über Sechzigjährigen liegt sie dreimal so hoch wie in der Altersgruppe der Anfang 20-Jährigen.

Zugleich verzeichnen Psychologen einen alarmierenden Trend bei der nachwachsenden Generation, die demnächst auf den Arbeitsmarkt strömt. Ziemlich genau mit dem Aufkommen von Sozialmedien um das Jahr 2011 herum hat unter Jugendlichen die Zahl der Fälle von Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen und Selbstmordgedanken stark zugenommen. Eine Untersuchung der Kaufmännischen Krankenkasse belegt, dass die Zahl solcher Fälle unter Schülern in Deutschland deutlich ansteigt. In den USA ist derweil die Zahl der Jugendlichen, die sich depressiv fühlen, zwischen 2009 und 2017 um 52 Prozent angestiegen.

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