Hat die Finanzaufsicht versagt? Harte Kritik an Bonner Bafin wegen P&R-Pleite

München · Die deutsche Finanzaufsicht muss sich wegen der Insolvenz auf eine Klage gefasst machen. Die Behörde soll nicht hart genug durchgegriffen haben.

ARCHIV - 11.11.2014, China, Shanghai: Container mit der Aufschrift "China Shipping" liegen aufgestapelt im Containerhafen. (zu dpa "DIHK: US-Strafzölle gegen China treffen deutsche Wirtschaft doppelt") Foto: Ole Spata/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - 11.11.2014, China, Shanghai: Container mit der Aufschrift "China Shipping" liegen aufgestapelt im Containerhafen. (zu dpa "DIHK: US-Strafzölle gegen China treffen deutsche Wirtschaft doppelt") Foto: Ole Spata/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Die mutmaßlich von kriminellen Machenschaften begleitete Insolvenz der Investmentgruppe P&R hat das Zeug zur größten Anlegerpleite Deutschlands. Schätzungen gehen von gut 2,6 Milliarden Euro Schadenspotenzial aus. Eine Mitschuld haben nun mehrere Fachanwälte für Bank- und Kapitalmarktrecht und andere Experten der deutschen Finanzaufsicht Bafin in Bonn zugewiesen. Rechtsanwalt Wolfgang Schirp will die Bafin binnen drei Wochen vor dem Landgericht Bonn auf Schadenersatz verklagen. „Ich werde die Bafin im Namen einiger Mandanten verklagen“, erklärte er. Der Jurist wirft der Finanzaufsicht vor, 2017 einen fehlerhaften P&R-Anlegerprospekt durchgewunken zu haben. Dabei gehe es um Anlegergelder in Höhe einer knappen halben Milliarde Euro.

Vier in Grünwald bei München angesiedelte P&R-Firmen, die in Deutschland rund 54 000 Anlegern mittels Direktinvestments am grauen Kapitalmarkt Schiffscontainer verkauft und sie von ihnen zurückgemietet haben, sind im Frühjahr pleitegegangen. Für Anleger stehen insgesamt 3,5 Milliarden Euro im Feuer.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Experten sprechen von einer sogenannten Kriminalinsolvenz. Denn der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffe hat nur 600 000 Container in den P&R-Büchern vorgefunden. Anlegern verkauft wurden aber 1,6 Millionen Transportboxen.

Die fehlende Million Container sind entweder nie gekauft oder illegal verkauft worden. Der Verdacht eines kriminellen Schneeballsystems drängt sich auf. Eine Mitschuld könnte auch die Bafin treffen. Denn P&R war seit 2017 prospektpflichtig. Sie musste Anleger über ihre Geschäfte und Risiken in einem von der Bafin zu prüfenden Papier informieren. Diese Prospektpflicht wurde in Deutschland zur Stärkung des Anlegerschutzes eingeführt.

Anleger könnten nach der Pleite noch einmal zur Kasse gebeten werden

Prospektgenehmigungen durch die Bafin unterliegen formellen Kriterien. Eines davon ist, dass der Prospekt für Anleger keine Nachschusspflichten beinhalten darf. Das sei beim P&R-Prospekt 2017 aber so gewesen, kritisiert Schirp. Die Finanzaufsicht bestreitet diesen Punkt. P&R-Anleger könnten nach der Pleite noch mal zur Kasse gebeten werden, wenn sie für ihre in Häfen stehenden Container Stand- und Versicherungsgebühren bezahlen oder für ihre Rückführung geradestehen müssen.

Juristisch sei das keine Nachschusspflicht, sagt die Bafin. Zugleich räumt sie ein, dass für Klarheit in diesem Fall nur ein Gericht sorgen kann. Das ist aber nicht die ganze Kritik an der Aufsichtsbehörde. Finanzanalyst Stefan Loipfinger hat schon vor der P&R-Pleite nachgewiesen, dass dort zwischen 2014 und 2016 eine Mietunterdeckung von rund einer halben Milliarde Euro aufgelaufen ist. Die Miete, die P&R Anlegern für deren Container gezahlt hat, war über Jahre hinweg höher als der Preis, den P&R bei der Weitervermietung an Reedereien erzielen konnte. „Es war eine Pleite mit Ansage“, sagt Loipfinger.

Stiftung Warentest schlug 2017 wegen rätselhafter Lücke Alarm

Auch die Stiftung Warentest hatte Mitte 2017 wegen dieser „rätselhaften Lücke“ Alarm geschlagen und auf einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk des P&R-Wirtschaftprüfers hingewiesen. Der hatte bemängelt, dass in der Bilanz Verbindlichkeiten verschwiegen werden. „Das ist ein Hammer, das springt einen an“, sagt Schirp. „Was ein Loipfinger und die Stiftung Warentest weiß, muss auch die Bafin wissen“, assistiert Loipfinger. Die P&R-Verbindlichkeiten betrugen übrigens rund eine Milliarde Euro, wie man heute weiß.

Die Finanzaufsicht wehrt sich. Die Prüfung von Anlageprospekten orientiere sich strikt an vorgegebenen Kriterien, erklärt eine Sprecherin. Seien die erfüllt, sei die Bafin rechtlich verpflichtet, einen Prospekt zu genehmigen. Das klingt, als wären der Behörde politisch die Hände gebunden gewesen. „Die Möglichkeiten der Bafin zu warnen, sind rechtlich sehr eingeschränkt“, sagt die Sprecherin zu dieser Vermutung.

Wenn sich die Bafin aber an die Buchstaben bestehender Gesetze gehalten hat, dürften die Chancen von Anlegern gleich Null sein, sie vor deutschen Gerichten auf Schadenersatz zu verklagen. Das weiß auch Schirp. Deshalb ist er bereit, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, wo es echte Erfolgschancen gebe.

Für P&R-Anleger könnte es indes noch dicker kommen. Denn mit Wolfgang Wittmann sieht ein anderer Fachanwalt die Gefahr, dass Jaffe von P&R in den letzten Jahren an Anleger ausgezahlte Gelder wieder zurückverlangt, um die Insolvenzmasse zu erhöhen. „Da geht es um Milliardensummen“, sagt Wittmann. Wenn eine Million Container fehlen, hätten deren Besitzer – also Anleger – Mieten und damit Rendite für etwas kassiert, das nicht existiert hat. Der Insolvenzverwalter habe das Recht, solche Gelder zurückzuverlangen, die nie hätten ausbezahlt werden dürfen und das vier Jahre rückwirkend. Ein Zwang dazu besteht nicht, sagen andere Insolvenzexperten. Ein Vertreter Jaffes äußert sich zurückhaltend. „Aktuell stellt sich die Frage nicht“, erklärte er. Wirklich beruhigend klingt das allerdings eher nicht.

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