Autonomes Fahren Freie Fahrt für Otto den Lkw

Washington/Mountain View · Mit einem Rüstsatz baut eine US-Firma Lastwagen so um, dass der Fahrer überflüssig wird.

Die Zukunft des Lkw-Verkehrs? Lastwagen ohne Fahrer auf einer US-Straße. FOTO: OTTO

Die Zukunft des Lkw-Verkehrs? Lastwagen ohne Fahrer auf einer US-Straße. FOTO: OTTO

Foto: Otto

Für „Rubber Duck“ wäre die Technik ein Segen gewesen. Der bärtige Fernfahrer aus dem 70er Jahre Asphalt-Western „Convoy“ (gespielt von Kris Kristofferson) hätte seinen Aufstand gegen Polizeiwillkür entspannt aus dem Führerhaus erledigen können und ohne ständig die Hände am Lenkrad zu haben. „Otto“ hätte den 40-Tonner wie von Geisterhand ans Ziel geführt. Otto heißt ein kalifornisches Klein-Unternehmen, das sich gerade anschickt, den LKW-Verkehr zwischen Los Angeles und New York zu revolutionieren.

„In hoffentlich weniger als fünf Jahren“, sagte Mitgründer Lior Ron dieser Zeitung, soll ein nennenswerter Teil der knapp 3,5 Millionen Brummis in den USA mit Rundum-Kameras, Sensoren, Radar, Notfall-Bremssystemen und passender Computer-Technologie so nachgerüstet seien, dass sie eigenständig die Geschwindigkeit dosieren, bremsen, die Spur wechseln, lenken und autonom ins Ziel finden. Ron ist nach ersten Testversuchen in Nevada und Kalifornien sicher: „Wir sehen eine Verpflichtung, diese Technologie so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen. Sie spart Geld und Energie. Und sie rettet Leben.“

Anders als der deutsche Automobil-Riese Daimler, der im Bundesstaat Nevada bereits die behördliche Erlaubnis für den Einsatz des Lasters der Zukunft hat („Inspiration-Truck“), setzt „Otto nicht auf ein Fahrzeug, das ab Werk bereits autonom vom Band rollt. Mit Hilfe von Nachrüstungs-Bausätzen, die nach Schätzung von Branchen-Experten bis zu 30 000 Dollar pro Truck kosten, sollen vorhandene Lkw vielmehr auf Autonomie umfrisiert werden.

In der ersten Phase peilt „Otto“ ein Modell an, bei dem der Fahrer im Führerhaus anwesend ist, aber nicht in den vollautomatisierten Fahrprozess eingreifen muss. „Er kann Abrechnungen machen, die nächste Route planen oder sich bis zur Ankunft schlafen legen“, sagt Lior Ron.

Die Vorteile? Bessere Auslastung der Flotten – die Einhaltung der strikten Ruhezeiten bei Fahrern aus Fleisch und Blut fällt weg. Durch kluge digitale Vernetzung könnten zudem Staus besser antizipiert und Fahrrouten automatisch angepasst werden. Und: Eine Senkung der Unfallquote sei ebenfalls wahrscheinlich. Derzeit gehen nach Statistiken der Verkehrsbehörden 87 Prozent schwerer LKW-Crashs auf Amerikas Free- und Highways auf menschliches Versagen zurück.

Für Speditionen, ist sich Ron sicher, rentiert sich die Anschaffung von „Otto“ auf Sicht. Moderne Trucks kosteten cirka 250 000 Dollar und seien bei einer Laufleistung von einer Millionen Meilen im Schnitt acht bis elf Jahre auf der Straße, „das amortisiert sich.“

Lior Ron, 39, Sohn eines in Deutschland geborenen Israeli, war zuletzt in führender Rolle für die Sparte Google Maps des Internetriesen zuständig und später bei Motorola. Anthony Levandowski, der technische Kopf von „Otto“, hat bei Google den Dienst Street View geprägt und seit 2009 maßgeblich am fahrerlosen PKW-Projekt mitgearbeitet. Beide bringen Expertise für einen zentralen Bestandteil des fahrerlosen Frachtverkehrs ein: detailgenaues, digitalisiertes Kartenmaterial. Anfang 2016 verließen die beiden Enddreißiger Google, scharten rund 40 hochqualifizierte Experten um sich, unter anderem von Apple und dem E-Auto-Hersteller Tesla, und machten sich mit „Otto“ selbständig. „Wir sind komplett selbst finanziert“, sagt Lior Ron. Die Voraussetzungen für Tests seien in den Flächenstaaten des amerikanischen Südens günstig. Ron: „Keine Fußgänger, keine Ampeln.“ Langfristig müsse aber auch eine Genehmigung der Zentral-Regierung her, schließlich sprengt der Frachtverkehr sämtliche bundesstaatlichen Grenzen.

Taugt das Projekt auch für das dichte Fernstraßennetz Europas? Ron sagt ja. „Highway ist Highway und Fracht ist Fracht. Die Notwendigkeit für sichere Transportwege ist nicht auf Amerika beschränkt.“ Norbert Dressler, LKW-Experte der Unternehmensberatung Roland Berger, sieht das ähnlich. „Der Zeitpunkt rückt näher, an dem LKW zunächst auf Autobahnen vermehrt von technologischer Intelligenz gesteuert werden.“ Dressler erkennt Einsparpotenziale vor allem dann, wenn mehrere Trucks vom Computer gesteuert Konvoi fahren; die Branche spricht dann von „Platooning“.

Lior Ron denkt weiter. Nicht nur in Amerika gehe die Zahl der Menschen, die von Berufs wegen „auf dem Bock“ sitzen und, fernab der Familie, bei mäßigen Löhnen ihre Touren fahren wollen, kontinuierlich zurück. Bereits im Jahr 2023, so hat es der US-Fernfahrerverband ausgerechnet, könnten 240 000 Trucker fehlen. „Unser Ziel ist es, einen völlig autonomen Truck zu bauen, der gar keinen Fahrer mehr an Bord hat.“ Daimler rechnet damit frühestens in zehn Jahren. „Otto“ will schneller sein. Das Rennen ist eröffnet.

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