Selbstfahrende Autos Experte: Autonomes Fahren überfordert Autofahrer

Berlin · Noch sind selbstfahrende Autos Zukunftsmusik, aber die Technik entwickelt sich immer weiter in diese Richtung. Was bedeutet das für den Fahrer? Darüber streiten Experten.

 Simulation einer Notbremsung beim autonomen Fahren an der Technischen Universität Berlin.

Simulation einer Notbremsung beim autonomen Fahren an der Technischen Universität Berlin.

Foto: dpa

Die automatische Gangschaltung oder eine Klimaregelung, den Tempomaten oder Warnsignale beim Einparken. Die Autofahrer haben sich in den vergangenen Jahrzehnten an vielerlei technische Hilfen im Fahrzeug gewöhnt. Doch ausgerechnet bei der Einführung von Technologien, die zu einer extremen Entlastung beim Fahren sorgen, droht ihnen eine Überforderung. Die Rede ist von Autos, die selbst lenken, bremsen oder die Geschwindigkeit regeln können. „Problematisch wird es, weil Automaten nicht von einem Tag auf den anderen die ganze Fahraufgabe übernehmen werden, sondern sie auf lange Zeit in unterschiedlicher Weise mit dem menschlichen Fahrer teilen“, befürchtet ADAC-Vize Ulrich Klaus Becker. Anders ausgedrückt muss dem Menschen am Steuer immer bewusst sein, ob die Maschine oder er selbst gerade in der Verantwortung für das Geschehen ist.

Daran zweifelt auch der Verkehrspsychologe Mark Vollrath von der TU Braunschweig. Er hält den stufenweisen Übergang vom autonom Fahrenden zum autonomen Fahrzeug für eine Überforderung der Besitzer. So sei ein Assistenzsystem wie die Abstands- und Geschwindigkeitskontrolle möglicherweise sicherheitsgefährdend. Das ergaben Tests, bei denen ein vorherfahrendes Fahrzeug plötzlich bremste. Ohne die Kontrolltechnik im Auto reagierten die Fahrer viel schneller auf die neue Situation als mit dem Warnsignal. Wer sich nicht auf die Technik verlassen hat, krachte nur in jedem zehnten Versuch in den Vordermann, mit Assistenz waren es 35 Prozent.

Von den Assistenzsystemen soll es nach dem Willen der Autoindustrie über halbautomatisierte Fahrzeuge allmählich zum fahrerlosen kommen. Doch in den Zwischenschritten stehen die Fahrer vor einem menschlichen Problem. So müssen einerseits stets bereit sein einzugreifen, wenn die Technik eine Situation nicht beherrscht. Andererseits sollen sie von genau dieser Anforderung entlastet werden. „Menschen sind nicht so gebaut, dass sie dauerhaft aufmerksam sein können“, warnt Vollrath. Messungen der Unfallversicherer haben ergeben, dass abgelenkte Fahrer im Notfall bis zu 15 Sekunden brauchen, um wieder die Kontrolle über das Verkehrsgeschehen zu erlangen. „Die Technik darf dem Fahrer nicht zu früh Aufgaben abnehmen“, fordert der Chef des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Wolfgang Weiler.

Industrie ist von schrittweiser Einführung überzeugt

Aber auch optimierte Systeme haben nach Ansicht Beckers eine Kehrseite. „Je besser die Assistenzfunktionen arbeiten, desto schneller baut sich bei den Nutzern ungerechtfertigtes Vertrauen auf“, sagt er. Sie würden dann schneller die notwendige Aufmerksamkeit vermissen lassen. Der ADAC fordert deshalb eine konsequente Ausrichtung der Automatisierung auf die Nutzersicht. Welche Nebentätigkeiten seien beim Fahren erlaubt, müsse das Auto überhaupt besetzt sein, dürften Kinder mitfahren. Wann die ersten komplett eigenständige Pkw die Straßen erobern, steht Becker zufolge in den Sternen. „Es ist noch gar nicht absehbar, ob und wann fahrerloses Fahren jemals im Privat-Fahrzeug angeboten wird“, sagt er.

Auf einer Expertentagung des GDV zeigte sich die Industrie dagegen von der schrittweisen Einführung immer selbständigerer Mobile überzeugt. 2019 würden Fahrzeuge im Stau alleine fahren können, ab 2022 auf der Autobahn, glaubt VDA-Fachmann Marko Gustke. Wann es zu echt autonomen Autos kommt, wagt auch Gustke nicht vorherzusagen. „Wir wissen es nicht“, räumt er ein. Psychologe Vollrath verweist auch Berechnungen, denen zufolge es wohl frühestens Mitte des Jahrhunderts zu einem nennenswerten Anteil von selbstfahrenden Fahrzeugen im Verkehr kommen wird. Auch weniger Unfälle sind vorerst nicht zu erwarten. Auf den Autobahnen, wo die Technik zunächst eingesetzt wird, kommt es zu vergleichsweise wenigen Personenschäden, etwa 19 000 pro Jahr. Innerorts sind es 219 000, auf Landstraßen 74 000.

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