Neuer Trend in Deutschland Es gibt immer mehr heimische Bio-Lebensmittel

Nürnberg · Die Anbaufläche für Ökoprodukte wächst in Deutschland stark. Das mindert den Bedarf an Importen. Vor allem bei Gemüse und Obst muss zwar weiter viel Bio-Ware aus dem Ausland geholt werden, es wird aber spürbar besser

Die Schere schließt sich. „Das ist ganz sicher so“, freut sich Felix Löwenstein zum Auftakt der Biofach in Nürnberg, ihres Zeichens weltgrößte Messe für Bio-Lebensmittel. Der Chef des Bunds Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (Bölw) meint damit das Verhältnis von Nachfrage und heimischem Angebot von Bio-Ware. Denn der Bio-Appetit der Deutschen konnte lange nur durch ständig steigende Bio-Importe befriedigt werden, was wegen damit einhergehender Transportwege nicht gerade umweltfreundlich ist. Auch insofern ist die Entwicklung erfreulich. 2018 wurden in Deutschland mit Bio-Lebensmitteln 5,5 Prozent mehr damit knapp elf Milliarden Euro umgesetzt. Es ist das neunte Wachstumsjahr in Folge, bemerkte auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bei der Messeeröffnung.

Aber die heimische Anbaufläche wurde noch stärker ausgebaut, was den Importbedarf nun mindert. Vor allem bei Gemüse und Obst müsse zwar weiter viel Bio-Ware aus dem Ausland geholt werden, stellt Löwenstein klar. Aber es wird spürbar besser. Um acht Prozent auf insgesamt knapp neun Prozent ist die Bioanbaufläche hier zu Lande im Vorjahr gewachsen. Das Ziel der Bundesregierung, bis 2030 in Deutschland ein Fünftel der Anbaufläche ökologisch zu bewirtschaften, hält der Bölw-Chef für erreichbar. Dann folgt auf die Freude ein tiefes Stirnrunzeln.

Zu erfolgreiches Programm

Denn Voraussetzung dafür sei, dass Bauern in dem Ausmaß wie 2018 anhaltend auf bio umstellen. Das sieht Löwenstein gefährdet. Denn die Finanztöpfe für dazu nötige Umstellungshilfen würden sich rasant leeren. „Das Programm ist zu erfolgreich“, sagt Löwenstein mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Er appelliert deshalb an Klöckner, bestehende Agrarmittel zu Gunsten von Bio-Betrieben umzuschichten. Sonst drohten dieses Jahr einigen Bundesländern vor allem im Osten Deutschlands Gelder für Umstellungshilfen auszugehen. Im Saarland sei es bereits jetzt eng. In Folgejahren könnte sich die Finanzierungslage noch verschärfen. Nicht mehr alle umstellungswilligen Bauern könnten dann aus traditionell wirtschaftenden neue Bio-Höfe machen. Bio-Importe würden unweigerlich wieder zunehmen.

Nicht nur per Umstellungshilfen könne die Bundesregierung Flagge zeigen, wenn sie es mit bio wirklich ernst meint, findet Löwenstein und blickt nach Dänemark. Dessen Hauptstadt Kopenhagen hat 2015 alle öffentlichen Kantinen mit 66.000 Essen pro Tag auf bio umgestellt und das kostenneutral. „Weniger Fleisch und Vorfabriziertes, mehr Frische und weniger Abfall“, erklärt Löwenstein, wie das funktionieren konnte und verweist auf Folgeeffekte.

Die Umstellung der Kantinen habe eine Bio-Lieferstruktur geschaffen, die Kopenhagen nachgelagert einen Boom an Bio-Restaurants und Bio-Gerichten in normalen Gaststätten beschert habe. Zudem kämen in Kantinen noch Bio-Skeptiker mit Ökoessen in Berührung und so vielfach auch auf den Geschmack. „Öffentliche Kantinen sind ein starker Hebel und haben Vorbildcharakter“, findet Löwenstein. Wichtig sei das auch, weil Menschen allgemein immer mehr außer Haus essen und trinken. „Ein erster, logischer Schritt wäre, wenn die Bundesregierung für ihre Ökoziele in ihren eigenen Kantinen beginnen würde“, findet der Bio-Lobbyist.

Biobranche hofft auf Umverteilung von Fördergeldern

Der zweite Schritt, den der Bölw im Sinn hat, ist anspruchsvoller. Denn gerade diskutiert die EU eine Reform ihrer Agrarpolitik. Die derzeit gültigen Regeln sind 1992 festgelegt worden, als bio noch nicht in aller Munde war und Themen wie Überdüngung oder Artenschwund allenfalls in Fachzirkeln diskutiert worden sind. Die Bio-Branche hofft bei der EU-Agrarreform auf Umverteilung von Fördergeldern zu ihren Gunsten. Über 50 Milliarden Euro jährlich fließen in die EU-Agrarförderung. Das sind rund 40 Prozent des EU-Haushalts. In Deutschland werden davon rund sechs Milliarden Euro unter Landwirten verteilt, wobei bislang Fläche und damit die schiere Größe ein wesentliches Kriterium ist. Von den sechs Milliarden Euro werden nur etwa 15 Prozent nach ökologischen Kriterien verteilt, rechnet der Bölw vor. Ziel für die Reform müssten aber 70 Prozent sein.

Diese massive Änderung bestehender Verhältnisse sei nur schrittweise möglich, räumt auch Löwenstein ein. Weil von traditioneller Landwirtschaft oft überdüngte Böden, nitratbelastete Gewässer, aussterbende Insekten und ungesund ernährte Menschen mittels Bio-Landbau aber dringend etwas brauchen, was der Markt nicht ausreichend bezahlt, seien Weichenstellungen für eine agrarpolitische Kurskorrektur alternativlos.

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