Digitalisierung der Landwirtschaft Die Lebensmittelproduktion wird revolutioniert

Berlin · Digitale Kartoffeln helfen Bauern, Trecker fahren ferngesteuert - die Digitalisierung hält Einzug in die Landwirtschaft und soll sie moderner, effizienter und nachhaltiger machen.

 Diese Drohne wirft Papierkügelchen mit Schlupfwespen ab, die den Maiszünsler bekämpfen sollen.

Diese Drohne wirft Papierkügelchen mit Schlupfwespen ab, die den Maiszünsler bekämpfen sollen.

Foto: picture alliance / Arno Burgi/dp

Der vierrädrige Roboter macht dem Unkraut auf dem Rübenacker den Garaus, er scannt den Boden mit seiner Kamera, entdeckt das unerwünschte Pflänzchen, zerstört es. Die Drohne schwirrt über dem Mais, wirft Eier von Schlupfwespen ab. Diese machen sich, einmal geschlüpft, über die Raupen her, die sich auf dem Feld tummeln. Der Traktor fährt ferngesteuert, der Landwirt sitzt in seinem Büro, auf seinem Computerbildschirm laufen jede Menge Daten ein darüber, wie üppig die Pflanzen wachsen, der Boden beschaffen oder Dünger nötig ist.

Science-Fiction auf dem Land: Die Digitalisierung revolutioniert Acker, Bauernhof und damit die Produktion von Lebensmitteln. Die großen Verbände der Bauern – der Deutsche Bauernverband, die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, die Landwirtschaftskammern, der Raiffeisenverband und der Zentralverband Gartenbau – sehen in ihr ein Mittel, „moderner, effizienter und nachhaltiger“ zu werden. Das ist ihr neues Ziel. Um dies zu erreichen, haben sie erstmals gemeinsam eine „Ackerbaustrategie“ entwickelt. Kürzlich haben sie diese der Öffentlichkeit präsentiert.

Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, sprach von einem „Instrumentenkasten für die Zukunft“. So sollen zum Beispiel der Einsatz von Spritzmitteln verringert, Schadstoffbelastungen von Böden verhindert, die Düngung verbessert, Treibhausgasemissionen eingedämmt und die Biodiversität gefördert werden. Zugleich müsse, betonte Rukwied, Ernährung der Bevölkerung gesichert bleiben, die Wirtschaftlichkeit der Betriebe auch. Dazu werden in der 15-seitigen Strategie verschiedene Maßnahmen gelistet. Etwa sollen „Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz“ weiterentwickelt werden und moderne Technik eine größere Rolle bekommen. „Digitalisierung nutzen“, heißt es im Papier. Es ist der Auftakt zu einer Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft.

Landwirtschaft steht unter Druck

Die Bauern preschen mit ihren Ideen – Rukwied sagt „proaktiv“ – vor. Denn die schwarz-rote Bundesregierung, so steht es in ihrem Koalitionsvertrag, will in den kommenden Monaten auch eine „Ackerbaustrategie“ entwickeln, um die Umwelt besser zu schonen. Zu hohe Nitratwerte im Grundwasser, Schwinden von Insekten und Feldvögeln, ausgelaugte Böden – die Landwirtschaft wird für vieles verantwortlich gemacht, sie steht unter Druck.

CDU-Bundesagrarministerin Julia Klöckner betont immer wieder, dass sie in der „Digitalisierung“ Chancen sieht, diese voranbringen wolle. Viel hat der Alltag auf den Höfen schon heute mit High-Tech zu tun – und wenig mit der romantischen Vorstellung von Harke und Sense. Während die Automobilbranche noch am autonomen Wagen tüftelt, seien „vollautomatische Fahr- und Lenksysteme auf dem Acker längst Standard“, erklärte Christoph Götz vom VDMA, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Er vertritt mit 170 Unternehmen das Gros der deutschen Landmaschinenhersteller.

„Der Bauer überlässt das Lenken dem Computer, der Traktor zieht schnurgerade die Düngestreuer hinter sich her und wendet auch von allein, Reihe für Reihe, parallel und ohne Überschneidung“, sagte Götz. So lasse sich der Dünger, der früher häufig nach dem Prinzip Gießkanne ausgebracht worden sei, heute „punktgenau“ verteilen. Der Bauer spare Chemie, Diesel, Zeit, Saatgut, Geld. Für die Umwelt sei es auch gut, meinte Götz. Denn für die Herstellung von einem Kilogramm Stickstoffdünger, werde etwa ein Kilogramm Erdöl gebraucht, so die Faustregel.

Das Ziel: Einsatz von Dünger und Ackergiften wird weniger, der Ertrag größer

Experten wie Götz nennen das „precision farming“, Präzisionslandwirtschaft. Dazu gehören Drohnen, die aus der Luft den Zustand von Feld und Pflanzen analysieren, Sensoren, die Bodendaten liefern, Mähdrescher, die mit Erntewagen vernetzt und vertaktet sind. 80 Prozent der Innovationen in der Landtechnik, sagt Götz, drehten sich um Digitalisierung und Elektronik. Das Ziel: Einsatz von Dünger und Ackergiften wird weniger, der Ertrag größer. Der Landwirt muss immer mehr digitale Technik bedienen.

Bestes Beispiel: Die Kartoffel ist ein sehr empfindliches Gemüse. Eckt sie in der Erntemaschine an oder wird unsanft fallen gelassen, bekommt sie eine Art blauen Fleck, verdirbt schneller, sie kann nicht verkauft werden. Der Landmaschinenhersteller Grimme aus dem niedersächsischen Damme hat darum eine „digitale Kartoffel“ mit entwickelt. Diese sieht aus wie eine Kartoffel, steckt aber voller Technik. Der Bauer legt sie mit aufs Feld. Sie durchläuft den gesamten Ernteprozess mit und funkt Daten. Stimmt irgendetwas nicht, kann der Bauer seine Maschine entsprechend einstellen. Die Produktion von Lebensmitteln wird so revolutioniert.

Schon denken die Firmen über das nächste große Ding nach. Claas, bekannt für seine grünen Mähdrescher, eines der Top-fünf- Agrartechnik-Unternehmen weltweit mit Sitz im nordrhein-westfälischen Harsewinkel etwa. Sprecher Wolfram Eberhardt sagt: „Künftig werden immer mehr Bauern mit ihrem Smartphone aus der Hosentasche die komplette Farm managen können, also den Maschineneinsatz auf dem Feld oder ihren Melkstand kontrollieren und nötige Dokumente ausfüllen.“ Vor allem jüngere Bauern seien daran interessiert.

Bauernpräsident Rukwied allerdings betonte: „Die Digitalisierung hilft, ist aber nicht alles.“ Ein Bauer müsse noch immer ein Gespür haben für den Boden, das Wetter. Die Maschine wird den Mensch nicht ersetzen. Zumal: Noch fehlen leistungsfähige Internetkabel auf dem Land. Sie seien aber, heißt es im Papier der Bauern, eine „Grundvoraussetzung für die rasche und breite Digitalisierung der Agrar- und Ernährungswirtschaft.“

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