Fleischkonsum in Deutschland Die Deutschen essen zu viel Fleisch

Berlin · Der „Fleischatlas 2018“ verrät: Mit 59 Kilogramm pro Jahr isst der Durchschnitts-Deutsche zu viel Fleisch. Doch welche Folgen hat die industrielle Tierproduktion eigentlich?

Hubert Weiger genügt ein Blick auf die Deutschland-Karte. Oben links, Niedersachsen, die Landkreise Emsland, Cloppenburg, Vechta – das ist die tiefrote Zone in der Kategorie Tierwohl und Flächenverbrauch. Rot steht dort für eine besonders kritikwürdige Haltung von Rindern, Schweinen und Hähnchen in Mastbetrieben.

Jetzt hat Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), gemeinsam mit der Vorsitzenden der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig, in Berlin den „Fleischatlas 2018“ veröffentlicht. Tendenz: Die Deutschen haben auch zuletzt mit 59 Kilogramm pro Kopf pro Jahr zu viel Fleisch von Tieren gegessen, die zum Teil vor ihrem Weg zur Schlachtung schlecht oder nicht artgerecht gehalten wurden. Unmüßig sagt unmissverständlich: „Qualvoll, umweltschädlich, ungesund und billig – das charakterisiert heute die industrielle Tierproduktion.“ Weiger will auch die Illusion vom Billigfleisch aus Massentierhaltung nicht stehen lassen. Denn: „Das billige Fleisch ist das teuerste Fleisch“, so Weiger. Einmal zahle der Verbraucher das massenerzeugte Fleisch an der Ladenkasse. Und dann zahle er für die Folgen der Massentierproduktion nochmals als Steuerzahler. Beispielsweise in der Umwelt- und Klimapolitik. Denn wie kaum eine andere Branche produziere die industrielle Tierhaltung Treibhausgas-Emissionen und verbrauche Flächen für den Anbau von Futtermitteln.

Wenn sich die Viehwirtschaft nicht bewegt, wird dies laut „Fleischatlas 2018“ unweigerlich Folgen für das Weltklima haben. Will die Weltgemeinschaft die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzen, liegt der Anteil der Fleisch- und Milchindustrie am Kohlendioxid-Ausstoß bis 2030 bei 27 Prozent, wenn die Agrarindustrie nicht umsteuere. Bis 2050 stiege der Anteil der Fleischindustrie an den Treibhausgas-Emissionen gar auf 81 Prozent, wenn man so weiter produziere wie bislang. Dabei werde die Nachfrage nach Fleisch bis 2050 um bis zu 85 Prozent steigen. Es sei geradezu absurd, dass in Südamerika vom Hubschrauber der Pflanzenvernichter Glyphosat versprüht würde, um genmanipuliertes Soja oder Mais nach Europa zu verkaufen, das wiederum an Tiere der Massentierhaltung verfüttert würde.

Zu wenig Fläche für zu viele Tiere

BUND-Chef Weiger würde gerne an das Gute glauben. An Bauern, die ihren Tieren ausreichend Fläche bieten, ausreichend Bewegung ermöglichen, kein genmanipuliertes Futter zumischen und Masthähnchen nicht mit der Stoppuhr bis zum Tag ihrer Schlachtung messen. In den Landkreisen Emsland, Cloppenburg und Vechta müssten die Agrar-Großbetriebe dann ihre Rinder-, Schweine oder Hähnchenmastbestände drastisch reduzieren, um Umwelt- und Tierwohlstandards zu erreichen, wie Weiger betont. Rein rechnerisch müssten dazu die Bauern im Landkreis Vechta die Zahl ihrer Schweine um 550.000 reduzieren, der Landkreis Cloppenburg die Zahl seiner Rinder um gut 101.000 und das Emsland seinen Rinderviehbestand um gut 74.000. Auch für die Grafschaft Bentheim, für Osnabrück wie auch für Borken, Steinfurt und Coesfeld bemängelt der „Fleischatlas 2018“ zu wenig Fläche für zu viele Tiere.

Weiger kritisiert weiter, dass Deutschland als bislang einziges Land in der EU eine „Weidetierprämie“ nicht umgesetzt habe, wenn Landwirte ihr Vieh artgerecht auf der Wiese hielten und nicht in Stellen vorwiegend mit Futtermittel mästeten. Weiger fordert für eine bessere Tierhaltung und besseres Fleisch auf den Tellern der Verbraucher „ein staatlich garantiertes Tierwohl-Label“. Zwar habe der Verbraucher die Möglichkeit, Fleisch von Tieren aus Neulandhaltung zu kaufen. „Aber das ist eine Marktnische und ersetzt kein staatliches Handeln“, so Weiger. Am 20. Januar will der BUND wieder unter dem Motto „Wir haben es satt“ in Berlin auf die Straße gehen. Der Deutsche Bauernverband plant laut Weiger erstmals keine Gegendemo, weil er zu wenige Bauern dafür habe mobilisieren können.

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