Interview mit Bahnchef Lutz Deshalb sind Züge in NRW besonders unpünktlich

Berlin · Bahnchef Richard Lutz ist aus seinem Sommerurlaub zurück. Dem GA gegenüber erklärt er, warum die Züge in NRW besonders unpünktlich sind.

 Ein ICE auf der neuen Schnellstrecke München-Berlin durchfährt Thüringen.

Ein ICE auf der neuen Schnellstrecke München-Berlin durchfährt Thüringen.

Foto: picture alliance / Martin Schutt

Nur 72 Prozent der Fernzüge sind pünktlich. Warum bekommen Sie das Problem nicht in den Griff?

Richard Lutz: Im bisherigen Jahresdurchschnitt sind es nach den herausfordernden Hitzewochen jetzt rund 76 Prozent – keine Frage, das ist unbefriedigend. Die Pünktlichkeit ist noch nicht dort, wo wir sie uns wünschen. Von extremen Witterungsbedingungen mal abgesehen, stehen wir vor einem Dilemma: Während wir immer mehr Baustellen haben, nimmt erfreulicherweise die Zahl der Reisenden stetig zu. Wo ausreichende Kapazitäten vorhanden sind, gibt es die geringsten Probleme. So erreichen auf der Neubaustrecke Berlin-München fast 90 Prozent der ICE-Sprinter ihr Ziel pünktlich. In anderen Regionen ist die Infrastruktur knapp und das Verkehrswachstum groß – beispielsweise in NRW. Dort leiden unsere Kunden besonders unter Störungen und Unregelmäßigkeiten.

Was bedeutet eine knappe Infrastruktur?

Lutz: Auf unserer Infrastruktur – den Gleisen und Bahnhöfen - kann nur eine begrenzte Anzahl an Zügen fahren. Sind Strecken stark befahren, sorgt oft schon ein verspäteter Zug im ganzen System für Verzögerungen. Vergleichbares kennt man von der Autobahn. In Stoßzeiten wie zum Ferienbeginn oder Feierabend steigt das Verkehrsaufkommen. Wenn dann noch Baustellen hinzukommen, entsteht ein Stau. Das ist bei der Bahn nicht anders.

Wie wollen Sie dies lösen?

Lutz: Der Schlüssel für eine gute Betriebsqualität und Pünktlichkeit ist die Kapazität. Wir wollen die Kapazitäten vor allem durch Digitalisierung erhöhen und künftig noch besser auslasten. Ein Plus von bis zu 20 Prozent halten wir für realistisch. Ein enormer Fortschritt!

Wann werden alle Strecken digitalisiert – und was bringt dies?

Lutz: Die Digitalisierung wird viele positive Effekte bringen. Neue digitale Systeme werden zunächst auf besonders belasteten Strecken eingeführt. Wir investieren dort, wo der Kunde am meisten davon hat. Wie teuer das wird, klärt ein Gutachter im Auftrag des Bundes derzeit. Im Herbst wissen wir dazu mehr. Klar ist: Es wird sehr viel Geld kosten. Auf jeden Fall ist es deutlich günstiger als der Bau neuer Trassen – und es geht auch schneller.

Dauert das nicht noch wenigstens bis in die Mitte des nächsten Jahrzehnts?

Lutz: Salopp gesagt: Die Digitale Schiene Deutschland liegt noch nicht „schlüsselfertig“ bei uns im Schrank. Es wird eine technologische Herausforderung für die Industrie und die gesamte Eisenbahnbranche sein. Wir haben eine ähnliche Situation wie Anfang der 80er Jahre, als industriepolitisch entschieden wurde, Hochgeschwindigkeitszüge einzuführen.

Die Bundesregierung will, dass die Bahn ihre Passagierzahlen bis zum Jahr 2030 verdoppelt. Ist das angesichts der Kapazitätsprobleme überhaupt realistisch?

Lutz: Das politische Ziel für unseren Fernverkehr ist anspruchsvoll. Aber es zeigt doch, dass die Regierung genau wie wir an das Potenzial der Schiene glaubt. Deutschland braucht den Schienenverkehr auch dringend, um die Klima- und Umweltziele zu erreichen. Nun stellt sich die entscheidende Frage, wie die Bahn-Infrastruktur ausgebaut und wie viele neue Fahrzeuge angeschafft werden müssen, damit dieses Wachstum stattfinden kann. Wir werden die Verdopplung schaffen, und wenn es das eine oder andere Jahr länger dauert, wäre es immer noch eine fantastische Wachstumsgeschichte.

Warum hängen Sie nicht weitere Wagen an die Züge?

Lutz: Unsere Bahnhöfe sind nicht beliebig ausbaubar. Eine Verlängerung von derzeit 12 auf 13 Wagen mit mehr als 900 Sitzplätzen pro ICE ist realistisch und gut investiertes Geld. Aber schon bei 14 Wagen müssten wir zu viele Bahnsteige verlängern. Und schließlich müssen die Züge ja auch noch in die Instandhaltungswerke passen.

Sind Billigtickets ein Weg, die Auslastung zu verbessern?

Lutz: Natürlich haben Preise eine lenkende Wirkung für die Nachfrage. Uns gelingt es bereits, Kunden über die Spar- und Supersparpreise in weniger ausgelastete Züge zu bringen. Aber wir werden diese Auslastungssteuerung nicht überstrapazieren. Außerdem kann man mit dem Flexpreis die Züge weiterhin ganz flexibel nutzen und dabei mit der Bahncard 50 Prozent sparen.

Müssen die Kunden in diesem Jahr mit höheren Preisen rechnen?

Lutz: Wir wollen mit unserer Preispolitik Wachstum und Auslastung unterstützen. Wir waren in den vergangenen Jahren schon vernünftig unterwegs, und werden auch in diesem Jahr moderat vorgehen. Konkret: Im Durchschnitt werden die Preise des Fernverkehrs deutlich unterhalb der Inflationsrate steigen, die derzeit bei rund zwei Prozent liegt.

Sie könnten Ihr Breitbandnetz für andere Teilnehmer öffnen und damit den Ausbau des schnellen Internets für den nächsten Mobilfunkstandard 5G befördern. Das brächte Ihnen Investitionsmittel ein.

Lutz: Wir haben an unseren 33 000 Kilometern Streckennetz bisher 18 500 Kilometer mit Glasfaser ausgerüstet. Diese Glasfasern sind nicht vollständig von der Bahn ausgelastet. Das ist deshalb spannend, weil der Breitbandausbau in unserem Land nicht so schnell voran kommt wie gewünscht. Wir als Bahn könnten also unser Glasfasernetz vermarkten und so Teil der Lösung werden.

Das könnte der Bahn die dringend benötigten Milliardenbeträge einbringen, oder?

Lutz: Ja. Und mit diesen zusätzlichen Mitteln könnte man den weiteren Ausbau des Breitbandnetzes mitfinanzieren. Aber bis es soweit ist, sind sehr viele Dinge zu klären. Und das bespreche ich erst einmal unter anderem vertraulich mit unserem Eigentümer.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wann rollen die ersten Züge ohne Lokführer durchs Land?

Lutz: Einen ersten Pilotversuch soll es dazu bei der S-Bahn Hamburg geben. Doch es wird noch ziemlich lange bis zu einem fahrerlosen Betrieb auf unseren Schienen dauern. Lokführer werden deshalb unbedingt weiter gebraucht.

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