Fragen und Antworten Das bedeutet die Entscheidung zur Tarifeinheit

Karlsruhe/Berlin · Die Richter in Karlsruhe haben das Gesetz zur Tarifeinheit bestätigt. Was die Entscheidung für Pendler und kleine Gewerkschaften bedeutet.

 Das Bundesverfassungsgericht hat nach fast zwei Jahren über die Tarifeinheit entschieden.

Das Bundesverfassungsgericht hat nach fast zwei Jahren über die Tarifeinheit entschieden.

Foto: dpa

Die Pendler werden sich noch an den Streik vor gut zwei Jahren erinnern, als die Lokführergewerkschaft GdL die halbe Republik lahmlegte. Sie wollte nicht nur mehr Lohn für weniger Arbeit, sondern erhob auch den Anspruch, weitere Beschäftigtengruppen bei der Bahn vertreten zu dürfen. Wenige Wochen später trat das Tarifeinheitsgesetz in Kraft, das die Macht der kleinen Gewerkschaften einhegen sollte. Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Sind wir Lokführerstreiks mit dem Urteil los?

Nein. Lokführer sollen auch weiterhin für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streiken können. Allerdings ist mit dem Gesetz die Hoffnung verbunden, dass kleine Gewerkschaften nicht mehr ihre Konkurrenzkämpfe mit anderen Gewerkschaften auf der Straße austragen. In dem Urteil heißt es, das Grundgesetz enthalte kein Recht auf „Blockademacht zum eigenen Nutzen“. GdL-Chef Claus Weselsky versprach: „Wir streiken nicht gegen eine andere Gewerkschaft.“

Ist das Urteil ein Sieg für Nahles?

Das Tarifeinheitsgesetz gehörte zu den umstrittensten Regelwerken dieser Wahlperiode. Seit 2010 bestand die Notwendigkeit, die Spielregeln für die Gewerkschaften neu festzulegen. Der Widerstand gegen die Tarifeinheit war bei den Gewerkschaften aber erheblich und verfassungsrechtliche Bedenken gab es zudem. Außerdem kann eine SPD-Arbeitsministerin viel tun, aber nicht sich den Ruf zulegen, Streikrecht zu beschneiden. Dass Nahles dieses Gesetz durchbekommen hat, war also schon ein beachtlicher Erfolg. Dass es nun in wichtigen Teilen vor dem Verfassungsgericht Bestand hat, kann als Sieg für sie gewertet werden.

Was muss der Gesetzgeber tun?

Bis Ende 2018 hat der Gesetzgeber Zeit, die Rechte der Spartengewerkschaften zu stärken. Wenn zwei Tarifverträge kollidieren, soll laut dem Gesetz nur noch jener der größeren Gewerkschaft gelten. Damit die Interessen von Flugbegleitern, Ärzten, Piloten und Lokführern aber auch in einem Mehrheitstarifvertrag zur Geltung kommen, muss der Gesetzgeber nun einen passenden Mechanismus erfinden. Die kleineren Gewerkschaften sollen schon im Vorfeld von Tarifverhandlungen eingebunden werden und nicht nur das ausgehandelte Ergebnis abnicken, fordert das Verfassungsgericht.

Warum wurde das Gesetz zur Tarifeinheit überhaupt geschaffen?

2010 hat das Bundesarbeitsgericht seine lange in Deutschland gültige Rechtsprechung geändert. Der ungeschriebene Grundsatz: ein Betrieb, ein Tarifvertrag, der seit den 80er Jahren die Tarifpolitik bestimmte, galt fortan nicht mehr. Weil danach eine Streikwelle das Land erfasste, in der Piloten und Lokführer abwechselnd den Verkehr lahmlegten, hat Arbeitsministern Nahles das Tarifeinheitsgesetz geschaffen. Die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb soll seither den Ton angeben. Allerdings ist das Gesetz noch nicht angewendet worden.

Wie wird sich die Landschaft der Gewerkschaften verändern?

Claus Weselsky sieht seine GdL nicht bedroht. „Die nächsten 150 Jahre sind bei uns gesichert“, sagte er selbstbewusst. Die klagenden Gewerkschaften Marburger Bund, Verdi, der Beamtenbund, die Flugbegleiter Ufo und Cockpit kritisierten hingegen das Urteil. Sie fürchten einen Bedeutungsverlust.

Was sagt die DPVkom mit Sitz in Bonn, die neben Verdi mit den Postnachfolgeunternehmen verhandelt, zum Urteil?

Für die DPVkom ist entscheidend, dass das Streikrecht unangetastet bleibt. Auch zukünftig habe sie die Möglichkeit, Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, um einen Tarifabschluss zu erreichen. Es habe sich die Auffassung bestätigt, dass das Gesetz in dieser Form nicht umsetzbar sei und an der betrieblichen Praxis scheitern werde. Allein die Tatsache, dass zukünftig Fachgerichte über einzelne Fragen zu entscheiden haben, verkomplizierte die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes. Hier habe sich die Gewerkschaft gewünscht, dass das Bundesverfassungsgericht eindeutigere Aussagen macht und die Beantwortung offener Fragen nicht den Fachgerichten überlässt. „Die Postnachfolgeunternehmen Post, Postbank und Telekom wären gut beraten, das Tarifeinheitsgesetz weiterhin nicht anzuwenden“, sagt Sprecher Maik Brandenburger.

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