Britische Investmentbanker vor Gericht Cum-Ex-Prozess in Bonn beginnt am Mittwoch

Bonn · Es geht um Milliarden, um die der Staat durch kriminelle Machenschaften betrogen wurde. Am Bonner Landgericht beginnt das größte Wirtschaftsstrafverfahren seit Jahrzehnten.

Es soll ein Verfahren mit Signalwirkung weit über Deutschlands Grenzen hinaus werden: Am Mittwoch beginnt vor dem Bonner Landgericht die Hauptverhandlung gegen zwei britische Investmentbanker, die den deutschen Staat mit ihren als Cum-Ex-Modell bekannt gewordenen Aktiengeschäften um mehr als 447 Millionen Euro geprellt haben sollen.

Werden die Angeklagten schuldig gesprochen, sollen dem Prozess zahlreiche weitere Strafverfahren folgen, die das Landgericht noch über Jahre beschäftigen dürften. Insgesamt sollen fast ein Dutzend europäische Länder um zweistellige Milliardenbeträge geschädigt worden sein. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Verfahren.

Warum findet der Prozess in Bonn statt?

Die ermittelnde Kölner Staatsanwaltschaft bringt das Verfahren vor das hiesige Landgericht, weil das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) seinen Sitz in Bonn hat. Es ist in dem Fall die Geschädigte, da die Behörde für die Besteuerung von Kapitalgesellschaften mit grenzüberschreitenden Geschäften zuständig ist.

Wer steht vor Gericht?

Angeklagt sind die beiden britischen Staatsbürger Martin S. und Nickolas D., beide handelten früher Aktien für die Hypovereinsbank. In ihren Vernehmungen haben sie umfangreiche Aussagen gemacht, die sie nun vor Gericht bestätigen sollen. Als Kronzeugen würden sie mildere Strafen erhalten. Maximal drohen bei Steuerhinterziehung zehn Jahre Haft.

Wie lautet die Anklage?

Die Staatsanwaltschaft wirft Martin S. und Nickolas D. vor, mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften von Mitte 2006 bis Frühjahr 2011 für ein großes Kreditinstitut und später für eine Asset-Management-Gruppe Straftaten begangen zu haben. In 33 Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung sollen sie den Staat um mehr als 447 Millionen Euro geschädigt haben.

Was sind Cum-Ex-Geschäfte?

Es handelte sich um Karussellgeschäfte mit Aktien rund um den Dividendenstichtag. Vor dem Stichtag haben sie einen Dividendenanspruch ("cum", lateinisch "mit"), nach dem Stichtag aber nicht ("ex", lateinisch "ohne"). Bei den komplexen Deals spielten Leerverkäufe von Aktien eine zentrale Rolle: Ein Verkäufer bot Aktien mit Dividendenanspruch an, die er zum Zeitpunkt gar nicht besaß. Tatsächlich erwarb er sie nach dem Dividendenstichtag, weshalb er dem Käufer für die fehlende Dividende eine Kompensation leistete, auf die wie bei Dividenden Kapitalertragsteuer zu zahlen ist. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wurde diese Steuer aber nie gezahlt. Trotzdem besaßen die Aktienerwerber Bescheinigungen über die gezahlte Steuer, die sie sich unter Anrechnung sonstiger Steuerlasten vom BZSt zurückerstatten ließen.

Sind Aktienleerverkäufe nicht legal?

Leerverkäufe von Aktien an sich sind legal und üblich. Deshalb argumentiert die Verteidigung, dass die Angeklagten nur eine Gesetzeslücke ausnutzten, die das Bundesfinanzministerium inzwischen durch eine Gesetzesänderung geschlossen hat. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft waren die Cum-Ex-Deals aber auf Steuerbetrug angelegt. Der Gewinn sei nicht durch das Marktgeschehen – steigende und fallende Aktienkurse beziehungsweise Gebühren -, sondern einzig durch die Steuererstattung erzielt worden – von Steuern, die nie gezahlt wurden. Es handele sich um eine bewusste Täuschung.

Hat der Staat eine Chance, sich die Millionen zurückzuholen?

Ja. Das Landgericht hat fünf Geldhäuser als Prozessbeteiligte geladen. Damit wendet es eine seit zwei Jahren bestehende gesetzliche Möglichkeit an, Vermögenswerte bei Dritten einzuziehen, auch wenn sie nicht direkt an den Straftaten beteiligt waren, aber von ihnen profitiert haben. Bei ihnen handelt es sich um die Hamburger Privatbank M. M. Warburg, die Warburg Invest Kapitalgesellschaft, den US-Finanzdienstleister BNY Mellon, eine Fondsgesellschaft der französischen Société Générale sowie die Hansainvest, eine Tochter der Signal Iduna. Mit Beweisanträgen und der Einlegung von Rechtsbehelfen haben die Institute dieselben Rechte wie die Angeklagten, sie müssen anders als die Angeklagten aber nicht erscheinen und können das Verfahren nicht verzögern.

Wer hat das Verfahren ins Rollen gebracht?

Der Beharrlichkeit zweier Frauen ist es zu verdanken, dass die umfangreichen Ermittlungen gegen insgesamt mehrere Hundert Verdächtige geführt werden. Laut "Zeit" und dem ARD-Magazin Panorama sind zunächst einer 30-jährigen Sachbearbeiterin im BZSt in Beuel im Jahr 2011 Ungereimtheiten bei den Steuerrückforderungen von Unternehmen aufgefallen, worauf sie zu recherchieren begann. 2014 stieß dann die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker dazu. Heute leitet sie eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Sachen Cum-Ex-Deals.

Besteht die Gefahr der Verjährung?

Bei schwerer Steuerhinterziehung sind die Taten nach zehn Jahren verjährt. Durch sogenannte Unterbrechungshandlungen können das die Ermittler allerdings verhindern. So hat die Kölner Staatsanwaltschaft erst in der vergangenen Woche Räume und Rechner von Mitarbeitern der Deutschen Börse in Eschborn bei Frankfurt nach belastendem Material durchsuchen lassen. Ein Börsensprecher hatte eingeräumt, dass die Aktion "im Rahmen von Ermittlungen gegen Kunden und Mitarbeiter" erfolgt seien. Auch bei der Deutschen Bank gab es wiederholt Durchsuchungen, zuletzt im Juni.

Gibt es ähnliche Verfahren?

Ja. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt gegen acht Beschuldigte im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften. Gegen sechs Personen wurde bereits Anklage erhoben. Die Hauptverhandlung hat vor dem Landgericht Wiesbaden aber noch nicht begonnen.

Wie hoch soll der Gesamtschaden sein?

Das europäische Recherchezentrum "Correctiv" hat den Steuerskandal aufgearbeitet. Demnach wurde der Fiskus in mindestens elf europäischen Ländern geprellt, wobei Deutschland den größten Schaden erlitten haben soll. Der Mannheimer Steuerrechtler Christoph Spengel hat ihn für die Bundesrepublik auf mehr als 30 Milliarden Euro beziffert, gefolgt von Frankreich mit mindestens 17 Milliarden Euro.

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