Angriff auf deutschen Lebensmittelhandel Amazon Fresh liefert Lebensmittel ins Haus

Berlin · Von Berlin aus will Amazon den Lebensmittelmarkt durch Nach-Hause-Lieferungen erobern. Wie der Service bisher ankommt, verrät das Unternehmen nicht.

 Ein Mitarbeiter von Amazon Fresh scannt im Lager in Berlin-Tegel ein Produkt, das ein Kunde bestellt hat. Insgesamt hat der Konzern rund 100.000 verschiedene Lebensmittel im Angebot.

Ein Mitarbeiter von Amazon Fresh scannt im Lager in Berlin-Tegel ein Produkt, das ein Kunde bestellt hat. Insgesamt hat der Konzern rund 100.000 verschiedene Lebensmittel im Angebot.

Foto: picture alliance / Dirk Mathesiu

Kalt ist es hier, minus 21 Grad. Die Mitarbeiterin von Amazon Fresh hat eine rote Nase. Sie trägt eine dicke Winterjacke und Handschuhe. Aus den Regalen sucht sie Tiefkühlpizzen, Frühlingsrollen und Fischstäbchen zusammen, um die Nach-Hause-Lieferung fertig zu machen, die ein Kunde im Internet bestellt hat. Nur maximal eine halbe Stunde pro Tag sollen die Beschäftigten in diesem Teil der Halle wegen der niedrigen Temperatur arbeiten. An den Ritzen der Außentür sammelt sich Eis.

Nicht nur die Mitarbeiter, auch die einheimischen Konkurrenten des US-Konzerns müssen sich warm anziehen. Von diesem Logistikzentrum im Berliner Norden will die amerikanische Firma den bundesdeutschen Lebensmittelhandel aufrollen. Seit einigen Monaten werden Kunden in großen Teilen der Hauptstadt, einigen Orten in Brandenburg und in Hamburg beliefert. Tomaten, knackige Möhren, Obst, Eier, Milch, Joghurt – um zwölf Uhr mittags bestellt, um 16 Uhr nach Hause geliefert – das ist die Ansage. Und Drohung.

Der Angriff startet in Tegel

Der Milliarden-Konzern aus Seattle will den angestammten Supermärkten Marktanteile im Verkauf frischer Lebensmittel abjagen. Ausgangspunkt dieser Offensive ist das Lager im Berliner Stadtteil Tegel. Es steht auf einem Gelände, wo die Firma Borsig vor über 100 Jahren modernste Technologie fertigte: Dampflokomotiven.

An der einen Seite fahren die Container-Lkw der Lebensmittel-Produzenten ran, an der anderen Seite werden die grünen Plastiktaschen mit den individuellen Bestellungen der Privathaushalte in kleine Transporter verladen. Drinnen wandert man durch mehrere Temperaturzonen. Da gibt es beispielsweise den „tropischen Raum“ mit 15 Grad Celsius, in dem Bananen, Melonen sowie andere Früchte des Südens und Gemüse lagern. In einer weiteren Abteilung für weniger verderbliche Produkte herrschen 20 Grad. Überall regiert die „chaotische Lagerhaltung“. Die Mitarbeiter verstauen die Lebensmittel im Prinzip dort, wo in den langen Regalreihen gerade Platz ist. Die pistolenartigen Scanner, die die Beschäftigten in Händen halten, wissen sowieso alles: Bestellnummern der Kunden, georderte Artikel, Platz in den Regalen. Auspacken, ablegen, zusammenpacken – das Meiste ist Handarbeit, damit Birnen, Joghurtbecher und Oregano-Pflänzchen keinen Schaden nehmen.

Auch Nordsee speist seine Lebensmittel ein

„Rund 100.000 verschiedene Produkte für Amazon Fresh lagern hier im Depot“, sagt Stephan Eichenseher, Sprecher von Amazon Deutschland. Die Auswahl, die die Kunden haben, ist damit größer als bei manchem Wettbewerber. Das liegt auch daran, dass Firmen wie Butter Lindner, Basic Bio oder Nordsee einige Lebensmittel in die Amazon-Kette einspeisen. Wer den neuen Service abonniert, kann gleichzeitig im übrigen Amazon-Kosmos shoppen. „Das insgesamt sehr große Angebot mag aus Sicht mancher Kunden für Amazon sprechen“, sagt Bianca Casertano vom Handelsanalyse-Unternehmen Planet-Retail. Dem entgegen steht jedoch vielleicht der Preis. Wer den Lieferservice nutzen will, muss erst einmal Mitglied werden bei Amazon Prime, was 7,99 Euro monatlich kostet. Außerdem ist eine fixe Monatsgebühr von 9,99 Euro fällig.

Aber nicht nur die Amerikaner, auch die Platzhirsche investieren in den Online-Handel mit Lebensmitteln. Bei Marktführer Rewe kann man sich mittlerweile in 75 deutschen Städten Weintrauben, Mozarella oder frische Gurken nach Hause liefern lassen. Edeka hat unlängst den Bringmeister-Service von Kaisers Tengelmann übernommen. Aktiv sind auch die Deutsche Post mit ihrem Online-Markt AllyouneedFresh, sowie Kaufland und Lidl.

In der Fünf-Grad-Zone der Berliner AmazonFresh-Halle – dort, wo die Sendungen abschließend zusammengepackt werden – arbeitet ein junger syrischer Einwanderer. Vor zwei Jahren ist er vor dem Krieg aus Damaskus geflüchtet. Leute wie er verdienen hier minimal 10,55 Euro pro Stunde, was etwa auf 1400 Euro brutto monatlich hinausläuft. Für ihn allein reiche das, sagt der Packer. Was aber, wenn seine Familie nachkommt? Dann wird es knapp.

Verdi schimpft über armselige Bezahlung

Das ist ein Zwiespalt der Arbeit bei Amazon. Die Firma aus Seattle schafft neue Jobs – in Tegel sind es rund 200 – für Leute, die sonst unter anderem wegen mangelnder Qualifikation schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sprecher Eichenseher betont, dass manche Beschäftigte beispielsweise in der Qualitätskontrolle auch mehr verdienen. Hinzu kämen soziale Leistungen wie die kostenlose Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Trotzdem bleibt die Bezahlung in vielen Fällen armselig. Und das bei einem Konzern, der im Geld schwimmt und sich quasi alles leisten kann.

Die Gewerkschaft Verdi verlangt, dass die Amazon-Leute mindestens zwölf Euro pro Stunde erhalten. Außerdem will sie einen Tarifvertrag abschließen. Zu beidem sagt der Konzern schlicht „Nein“. „Amazon und die Gewerkschaft passen nicht zusammen“, so Stephan Eichenseher. „Tarifverträge spiegeln nicht unsere Firmenkultur der Flexibilität.“ Auf der Straße zu den Kunden werden die Amazon-Taschen immerhin mit Tarifvertrag transportiert. Diesen Teil des Geschäfts erledigt die Deutsche Post DHL.

Amazon verrät keine Zahlen

Ob das Geschäftsmodell des US-Konzerns insgesamt verfängt, muss sich zeigen. Denn Zahlen zu Kunden, Lieferungen und Umsatz in der Online-Bestellung und Belieferung mit Lebensmitteln gibt die Firma nicht heraus. Die Konkurrenten wie Rewe und Edeka lernen und experimentieren ebenfalls. „Noch ist der Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland nicht rentabel“, sagt Analystin Casertano, „aber die Unternehmen wollen die Entwicklung des Marktes nicht verpassen“.

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