Petition an den Bundestag Abmahnverein bedroht Existenz von Bonner Unternehmerin

Bonn · Eine Bonner Unternehmerin hat eine Petition an den Bundestag gestartet, weil ein Abmahnverein ihre Existenz bedroht. Jetzt steht sie vor Gericht.

Das erste Gefühl sei Panik gewesen, erzählt Vera Dietrich. Die Bonnerin ist Kleinunternehmerin, sie entwirft Schals und verkauft sie über das Internet. Bis ein Abmahnverein einen Formfehler auf ihrer Website entdeckte und von ihr eine Abmahngebühr verlangte. „Ich habe in meiner Panik erst mal gezahlt“, erzählt sie dem General-Anzeiger. Erst danach holte sie sich Rat bei Anwälten, die ihr empfehlen, auf die weiteren Forderungen des Abmahnvereins nicht einzugehen: nämlich eine Unterlassungserklärung abzugeben.

An diesem Dienstag steht Dietrich, eine promovierte Volkswirtin, nun vor Gericht. Denn der Abmahnverein, der Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen e.V. (Ido), hat beim Bonner Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen die Unternehmerin eingereicht. Sie soll so gezwungen werden, die Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Andernfalls drohen Dietrich 250.000 Euro oder zwei Jahre Gefängnis. „Wir haben dagegen Widerspruch eingelegt“, erklärt Dietrich.

Sie zahlte 232 Euro Strafe

Was hatte Dietrich falsch gemacht? Der Bonnerin hatte bei einem Schal vergessen anzugeben, dass er zu 50 Prozent aus Wolle und zu 50 Prozent aus Kaschmir bestand. Die europäische Textilkennzeichnungsordnung schreibt vor, dass das genaue Mischungsverhältnis aufzuführen ist. „Da war mir ein Flüchtigkeitsfehler unterlaufen“, sagt Dietrich. 232 Euro zahlte sie zur Strafe. „Die Abmahnung war an einem Freitag eingetroffen, das ist bei diesen Abmahnvereinen ganz typisch. Die Frist zur Zahlung war bis Mittwoch gesetzt. Ab Montag habe ich dann die Anwälte angerufen.“

Dietrich verkaufte ihre Ware über die Plattformen Dawanda und Etsy, wie es viele Kleinunternehmer machen. Abmahnungen sind Teil des Wettbewerbsrechts. Statt gleich vor Gericht zu ziehen, sollen sie Mitbewerbern eine außergerichtliche Einigung bei Pflichtverletzungen von Unternehmen ermöglichen. Doch Abmahnvereine missbrauchen das Instrument zum Abkassieren. Denn die Strafen, die mit den Unterlassungserklärungen verbunden sind, sind saftig.

„Als ich mich selbstständig machte, wurde vor Abmahnvereinen gewarnt. Ich habe deshalb meinen Onlineshop akribisch geführt“, erklärt Dietrich. „Das Schlimme ist: Die Vertragsstrafen sind pro Fehler zu zahlen. Je mehr Positionen ein Onlinehändler hat, desto eher passieren Formfehler. Das ist absolut existenzbedrohend für Kleinunternehmer.“

Abmahnungen folgen auf Abmahnungen

Bei einer Studie des Dienstleisters Trusted Shops kam 2017 heraus, dass fast die Hälfte der rund 1500 Teilnehmer innerhalb von zwölf Monaten vor der Umfrage abgemahnt worden war. Wer eine Unterlassungserklärung unterzeichnet hat, wird meistens schnell wieder abgemahnt. Im Schnitt mussten die Befragten 4700 Euro Strafe zahlen. Dem folgt laut Trusted Shop dann eine weitere Unterlassungserklärung, deren Strafe bei Zuwiderhandlung durchschnittlich schon bei 9000 Euro liege.

Mit dem Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken hatte der Bund den Abmahnmissbrauch eindämmen wollen, im Wesentlichen aber nur eine Begrenzung der Strafgebühren erreicht. Im neuen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es nun: „Wir wollen den Missbrauch des bewährten Abmahnrechts verhindern, zum Beispiel durch die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstandes, und so kleine und mittlere Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher schützen.“

Existenzgründer würden abgeschreckt

Dietrich hat ihre Onlineshops vorerst geschlossen, weil sie ihrer Familie nicht zumuten könne, Tausende Euro an Vertragsstrafen zu zahlen. Stattdessen hat sie eine Petition an den Bundestag gestartet, die fast 20 000 Unterzeichner gefunden hat. Als Volkswirtin ärgere es sie, dass Existenzgründungsprojekte so zunichte gemacht beziehungsweise abgeschreckt würden. Sie weiß große Wirtschaftsverbände wie den Deutschen Industrie- und Handelskammertag hinter sich.

Am Dienstag muss sie nun erst einmal vor dem Landgericht erscheinen. Ob es noch zum Hauptverfahren kommt, könne sie nicht einschätzen, sagt Dietrich.

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