Israel wappnet sich gegen Cyber-Attacken 1000 Angriffe pro Sekunde

JERUSALEM · Es sieht alles ganz normal aus: in der Dämmerung erleuchtete Reihenhäuschen, Tannenbäume, Rasengrün und mittendrin auf den Gleisen eine Lokomotive. Das Miniaturensemble ist allerdings keine Spielzeugstadt, sondern Kriegsgerät. Hier, irgendwo im Zentrum Israels, üben sich Soldaten in der Cyberverteidigung.

"Wenn ein Hacker in das Netzwerk der Bahnanlage eindringen konnte, erkennen wir das daran, dass der Zug aus den Gleisen springt. Wir können aber auch eine Attacke durchspielen und ihn per Gegenangriff stoppen. Dann fährt der Zug ungestört weiter", erklärt Majorin Dana Schachar.

Die 36-Jährige dient schon ihr halbes Leben in der israelischen Armee. Die Soldatin mit dem strengen Zopf und den freundlichen Augen befehligt zwei Kompanien, die digitale Technologien zur Unterstützung der Soldaten im Kampf bereitstellen und diese daran ausbilden. Die Abteilung, in der sie dient, heißt auf Englisch abgekürzt C4I. Das steht für "Kommando, Kontrolle, Computer, Kommunikation, Information". Im Gaza-Krieg 2014 erhielten die Frontsoldaten Echtzeitinformationen über Stellungen der Hamas, die ihnen im Häuserkampf einen Vorteil geben sollten. Doch wer den Cyberraum zu seinem Vorteil nutzt, ist wiederum neuen Gefahren ausgesetzt.

"Wir in Israel wissen, dass wir ständig ausgespäht werden, und das nicht nur durch die arabischen Nachbarländer. Das Internet hat eine ganz neue Welt eröffnet", sagt Schachar. Nach Angaben des israelischen Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) zählt man in Israel in jeder Sekunde 1000 Cyberangriffe - auf die zivile Infrastruktur wie Elektrizitätswerke, Krankenhäuser und die Wasserversorgung oder auf militärische Einrichtungen. So ist es kein Wunder, dass der jüdische Staat die Verteidigung des Cyberraums schon vor Jahren zu einer Priorität erhoben hat. Inzwischen hat man die Nase so weit vorn, dass andere Länder von Israel lernen wollen. Auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich bei ihrem letzten Israel-Besuch kundig gemacht; denn die Bundeswehr will eine neue militärische Organisation aufbauen: den "Cyber- und Informationsraum". Wie in der realen Welt geht es beim Militär auch im virtuellen Raum um Verteidigung, Abschreckung und Angriff, wobei Cyberexperten infrage stellen, ob eine strenge Trennung von Defensiv und Offensiv im Netz sinnvoll beziehungsweise überhaupt möglich ist. Noch sind beide Bereiche zwei verschiedenen Organisationen zugeordnet: die C4I-Abteilung ist für die Verteidigung zuständig, der militärische Geheimdienst erledigt auch offensive Aufgaben.

Zur Cyber-Elite gehört in Israel die Aufklärungseinheit 8200 (sprich: Acht-Zweihundert). Gemeinsam mit den USA wird dieser Einheit die Entwicklung des Schadprogramms Stuxnet zugeschrieben, das 2010 entdeckt wurde. Die Malware war in eine iranische Urananreicherungsanlage eingeschleust worden und zerstörte Tausende Gaszentrifugen.

Schon 2007 soll es den Israelis gelungen sein, mittels eines Schadprogramms die syrische Luftüberwachung unter Kontrolle zu bringen, so dass israelische Kampfjets ungehindert einen Luftschlag gegen einen syrischen Atomreaktor verüben konnten. Das Radarsystem war so umprogrammiert, dass es für das syrische Überwachungspersonal aussah, als gebe es keine Störung. Der bisherige C4I-Kommandeur, Generalmajor Uzi Moscovitch, zeigte gegenüber der Tageszeitung "Haaretz" überzeugt, dass Cyberoperationen in den Kriegen der Zukunft unverzichtbar werden. Sie würden Panzer, Kampfpiloten oder Drohnen nicht ersetzen, "aber sie wirken unterstützend und können teilweise militärische Kampfmittel überflüssig machen", so Moscovitch.

Die Suche nach Cyber-Talenten beginnt beim Eintritt in die Armee. Schüler, die in Mathe und Physik Spitzenleistungen zeigen, durchlaufen spezielle Tests, bei Erfolg winkt die Aufnahme in das "Talpiotprogramm". Seine Absolventen, die sich für mindestens zehn Jahre Armeedienst verpflichten müssen, sind später führende Köpfe an den Universitäten oder Gründer von Start-ups, die mit dem Cyberraum zu tun haben. So gibt es in Israel rund 250 Cyber-Unternehmen und rund 20 Entwicklungszentren von multinationalen Konzernen wie der Deutschen Telekom, Google und Microsoft - das sind etwa so viele Cyber-Firmen wie im Rest der Welt, die USA ausgenommen. 2014 hatIsrael Cybersicherheitssoftware im Wert von über sechs Milliarden Dollar exportiert. Am Welthandel mit Cyberprodukten hat es einen Anteil von zehn Prozent.

Majorin Dana Schachar baut ein neues Cyber-Trainingszentrum auf. Standort geheim. Ein Programm bildet die neuen "Cybersicherheitsmanager" aus, die in allen Einheiten eingesetzt werden sollen. Zehn Wochen werden diese Kurse dauern, Tausende Soldaten sollen sie jährlich durchlaufen. "Wir versuchen herauszufinden, wer gegen den Strich denkt, unkonventionell ist." Das Trainingszentrum wird mit moderner Technik ausgestattet. Dann müssen die Soldaten nicht mehr mit der Modelleisenbahn arbeiten, sondern ein Hologrammsystem kann ein Stromwerk, ein Patriot-Abwehrsystem oder jede beliebige Einrichtung in Szene setzen. Auch die Folgen eines Hackerangriffs können sofort dreidimensional dargestellt werden.

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