Interview mit BCE-Chef „Der Braunkohle-Deal wäre ein fatales Signal“

Düsseldorf · Der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, macht sich große Sorgen über die SPD. Die AfD habe deren Klientel doch gar nichts zu bieten.

 Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).

Foto: picture alliance / Monika Skolim

Werden Sie dort wie Martin Schulz beim SPD-Parteitag mit 100 Prozent der Stimmen gewählt?

Michael Vassiliadis (lacht): Das schafft nur die SPD...

...in der Sie selbst Mitglied sind. Wie haben Sie das Ergebnis der Bundestagswahl verkraftet?

Vassiliadis: Die SPD ist ja aus den vergangenen Wahlen Kummer gewohnt, aber wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die Handlungs- und Sprachfähigkeit der Partei ernsthaft infrage stehen. Das Ganze macht mich schon nachdenklich – aber nicht nur mit Blick auf die SPD, sondern auf das gesamte Parteiensystem.

Wie erklären Sie sich den Absturz?

Vassiliadis: Die Linkspartei hat sich etabliert – auch wenn sie immer noch nicht mit ihrer kommunistischen Vergangenheit gebrochen hat. Immerhin sympathisieren dort einige mit dem System in Venezuela und relativieren den Krieg von Herrn Putin. Die Linke nagt von der einen Seite an der SPD. Und auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Protestwähler, die auch von der SPD zur AfD abgedriftet sind. Zugleich vermittelt die Union den Eindruck, eher linke Themen zu regeln.

Vassiliadis: An klassischen Arbeitnehmerthemen kann es nicht liegen, denn da hat die AfD rein gar nichts zu bieten. Die Partei fällt bislang ja einzig dadurch auf, dass sie den Ausländern vieles missgönnt, was eigentlich alle erhalten. Wir haben unsere Mitglieder unlängst zu ihrem Wahlverhalten befragt. Ein Ergebnis: Je mehr Ordnung die Menschen in der Arbeit haben – Tarifverträge, Betriebsräte, vernünftige Löhne –, desto weniger empfänglich sind sie für Protestparteien. Aber es gibt auch politisch geschaffene Unsicherheit. Nehmen Sie die Braunkohlegebiete: Dort ist die Zukunft der Region unklar, dort bangen die Menschen um ihre Jobs und haben das Gefühl, niemand hört ihnen zu.

Vassiliadis: Die Grünen haben sich in der Opposition radikalisiert und sind zu einer Ausstiegspartei geworden – nach Atomkraft wurde die Braunkohle zum Feind Nummer eins erklärt und neuerdings auch noch der Verbrennungsmotor. Ich hoffe, dass mit dem Kampagnen-Modus Schluss ist, wenn sie sich ernsthaft in eine Regierung einbringen.

Vassiliadis: Ich kann nur davor warnen, es zu solchen Deals kommen zu lassen. Ein derart profanes Geschachere wäre ein fatales Signal für die Jamaika-Konstellation. Würde man 20 Braunkohlekraftwerke auf einmal aus dem System nehmen, wären alle Gruben sofort unwirtschaftlich. Die wegfallenden Kapazitäten müsste man durch das Hochfahren deutlich teurerer Gaskraftwerke kompensieren. Für einige energieintensive Industrien wären diese höheren Kosten aber durchaus existenzbedrohend. Hinzu kommt, dass man größere Netzschwankungen in Kauf nehmen müsste.

Kommen wir zur Tarifpolitik. Die IG Metall verlangt gerade eine Absenkung der Arbeitszeit auf 28 Stunden. Wäre das nicht was für Ihre nächste Tarifrunde?

Vassiliadis: Wir haben ein vergleichbares Modell gerade für die Chemieindustrie in Ostdeutschland vereinbart – mit einer Arbeitszeit, die je nach Lebenssituation zwischen 32 und 40 Stunden schwanken kann. Es ist denkbar, dass wir das Thema im kommenden Sommer auch im Westen angehen. Es gibt aber noch ein weiteres Betätigungsfeld: Menschen, die zu Hause oder unterwegs arbeiten. Für die müssen wir auch tarifliche Rahmenbedingungen festlegen.

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