"Tröste Dich, ich bin auch in Vivento"

Sie werden "identifiziert", ihr Arbeitsplatz für "überflüssig" erklärt und dann in das hausinterne Arbeitsamt "Vivento" abgeschoben: Wie Mitarbeiter der Bonner Telekom bei vollen Bezügen zu Hause sitzen

  Im Schatten der Telekom:  Tausende Mitarbeiter des Bonner Konzerns sitzen als Angehörige der Tochtergesellschaft "Vivento" ohne Beschäftigung zu Hause.

Im Schatten der Telekom: Tausende Mitarbeiter des Bonner Konzerns sitzen als Angehörige der Tochtergesellschaft "Vivento" ohne Beschäftigung zu Hause.

Foto: Lannert

Bonn. Wenn Vorstandschef Kai-Uwe Ricke am Mittwoch die Bilanzzahlen der Telekom vorlegt, sitzt Anna B. in der Regionalbahn von Bonn nach Neuss. Im Gepäck hat sie schicke Klamotten. Anna B. muss zum Bewerbungstraining. Und vorher hat man ihr gesagt, was dazu anzuziehen sei. Dass Anna B. 46 Jahre alt ist - und inzwischen niemanden mehr braucht, der ihr sagt, wie man sich kleidet - ist Nebensache.

Wichtiger ist für die Beamtin, wieder Beschäftigung zu haben. Sie ist zwar bei der Telekom, irgendwie auch Kollegin von Ricke. Und irgendwie auch wieder nicht. Denn als Beschäftigte bei der hauseigenen Arbeitsvermittlungsgesellschaft "Vivento" sitzt sie seit Monaten zu Hause - bei vollen Bezügen.

"Vivento" ist das Wort, dass in den Niederlassungen der Telekom von Kiel bis Garmisch-Partenkirchen täglich die Runde macht. Rund 18 000 Menschen geht es derzeit wie Anna B., mehr als 10 000 wird es voraussichtlich noch treffen, schätzt die Gewerkschaft DPVKOM.

Sie alle sind in einem internen "Clearing"-Verfahren "identifiziert" worden und mussten im Zuge des von der Telekom betriebenen Arbeitsplatzabbaus gehen. Manche von einem Tag auf den anderen. Andere hatten mehr Zeit, sich auf die Quasi-Entlassung einzustellen. "Es kann jeden treffen", das wissen die Telekom-Mitarbeiter. Die Hoffnung, nicht als "überflüssig" eingestuft zu werden, hält sich eine Zeit. Und auf einmal hören sich viele den Satz sagen: "Ich bin auch in Vivento."

Für Anna B. war es deshalb nur ein schwacher Trost, als plötzlich ihr damaliger Chef zu ihr sagte: "Tröste Dich, ich bin auch in Vivento." Das war gegen Ende 2003. Bei Anna B. fing alles schon an, da ging sie noch ahnungslos ihrer Arbeit nach. So wie in den 29 Jahren zuvor, zuerst bei der Post, dann bei der Telekom. Sechs Monate vor der "Vivento-Nachricht" klingelte an ihrem Arbeitsplatz das Telefon.

Am anderen Ende meldete sich ein Mitarbeiter einer anderen Telekom-Gesellschaft und begann, Anna B. über ihre Arbeit auszufragen. Warum er das tue, traute sie sich zu fragen. "Weil wir Ihren Job übernehmen werden", lautete die erschreckende Antwort. "Komm, hier gibt es genug andere Arbeit", wurde Anna B. von ihren Kollegen beruhigt. Vier Monate später sagte sie unter Tränen den Satz: "Ich bin in Vivento."

"In Vivento" heißt meist - in den eigenen vier Wänden. Denn der Telekom-Ableger, gegründet um die Mitarbeiter zu vermitteln, hat nach Ansicht der DPVKOM ein Ziel bisher weitgehend verfehlt - die Vermittlung. Das hausinterne Arbeitsamt wurde von Personalvorstand Heinz Klinkhammer gegründet, um den geplanten Stellenabbau (54 000 Stellen im In- und Ausland) bei der Telekom zu ermöglichen.

Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2004 ausgeschlossen. In "Vivento" (anfangs "PSA", Personal-Service-Agentur) sollten die Mitarbeiter gegebenenfalls weiter qualifiziert und dann hausintern und zu anderen Firmen vermittelt werden.

So einfach klingt das. So schwierig ist das, wenn es eigentlich nirgendwo Arbeitsplätze gibt. Schon gar nicht für verbeamtete Telekom-Mitarbeiter wie Anna B., die vor 30 Jahren ohne Ausbildung gleich fest angestellt wurde und die heute zu der Kategorie "alt und arbeitslos" gehört. Ihren Beamtenstatus habe man ihr damals förmlich aufgezwungen. "Ich wollte das eigentlich nicht", sagt sie. Aber heute den Beamtenstatus aufgeben und selbst einen neuen Job suchen? Nicht in diesem Alter und nicht auf diesem Arbeitsmarkt.

Wenn Kai-Uwe Ricke am Mittwochvormittag einen vermutlich kräftigen Konzerngewinn der Telekom aus dem zurückliegenden Geschäftsjahr 2003 präsentiert, dann kracht es zur gleichen Zeit im Gebälk eines Hauses nahe Bonn. Denn Uwe S. wird seinen Dachausbau vorantreiben, für den er überraschend viel Zeit hat. Auch er ist Beamter, arbeitete dreißig Jahre lang im technischen Bereich der Telekom.

Auch er wurde "identifiziert" und steht seit Juni vergangenen Jahres vor einer ungewissen beruflichen Zukunft mit Namen "Vivento". Auch er hat inzwischen geübt, wie man sich richtig bewirbt, hat erfahren, welche Raffinessen die Computersoftware Office 2000 bereithält und wurde in einem "Orientierungs-Workshop" auf seine Beschäftigungschancen eingestimmt.

Tenor: "Es gibt keine Arbeitsplätze bei der Telekom." Dabei kommt für ihn als Beamter nur eine hausinterne Weitervermittlung infrage. Uwe S. ist 52 Jahre alt, fühlt sich ziemlich "außen vor" und hat zum Glück eine Lebensgefährtin, die ihn "auffängt" - und seinen Dachausbau, der ihm die Langeweile vertreibt.

Einmal die Woche ist Stammtisch. Viele ehemalige Telekom- und heutige Vivento-Kollegen treffen sich dort und reden über den Alltag, in dem sie jederzeit erreichbar sein müssen, von ihrem Vermittler. Ein Vermittler betreut zwischen 100 und 150 arbeitslose Telekom-Beschäftigte. Vielleicht meldet der sich ja mit einem "Projekt".

Das sei "Beschäftigungstherapie für die Statistik", sagt Uwe S., der schon einmal über Wochen Drähte in einer Vermittlungsstelle herausgezogen hat. "Aber man ist wenigstens beschäftigt." Auch für einen Job als Hostess bei der Jahreshauptversammlung mit den Aktionären durften sich die Vivento-Klienten melden. Hostessen mit Beamtengehalt.

Ein Gehalt, das nach dem Willen der Telekom bald gänzlich ohne Sonderleistungen ausbezahlt werden soll. Kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld. Über 50 Prozent der "Beschäftigten" bei Vivento sind Beamte, der Rest Angestellte. Für sie strebt der Vorstand eine Gehaltskürzung von 15 Prozent an.

Dem Leben von Anna B. wird bald ein vorübergehender Lichtblick gegönnt. Zum ersten Mal darf sie dann in ein "Projekt". Und das auch noch an ihrem alten Arbeitsplatz. Dort herrscht inzwischen Mangel an Mitarbeitern. Während der Osterferien muss deshalb eine Aushilfe her, um den Betrieb zu gewährleisten. Anna B. freut sich, ihre alten Kollegen einmal außerhalb von Vivento zu treffen. Für einen Monat. Danach heißt es wieder Abschied nehmen . . .

Anna B. und Uwe S. sind auf Wunsch der Betroffenen geänderte Namen.

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