Deutsche Telekom Timotheus Höttges: "Der Anspruch an uns ist extrem hoch"

BONN · Der Rückstand der Europäer in der digitalen Wirtschaft treibt Timotheus Höttges um. Nach 100 Tagen im Amt sprach er im GA-Interview über positive und negative Überraschungen und seine Pläne für die Zukunft.

Herr Höttges, Sie sind seit Samstag genau 100 Tage Vorstandschef der Deutschen Telekom. Was hat Sie in Ihrem neuen Job am meisten überrascht?
Timotheus Höttges: Am meisten überrascht war ich davon, wie weit mir die Funktion Türen öffnet. Sowohl in Industriekreisen, in der Politik als auch dort, wo das Herz unserer Branche schlägt, im Silicon Valley. Intern überraschte mich die große Offenheit, mit der mir die Mitarbeiter begegnen.

Das sind nur positive Überraschungen. Gibt es auch negative?
Höttges: Nicht unbedingt negativ, aber an manchen Stellen, sind die Hausforderungen größer als erwartet. Die erforderliche Schlagzahl für die Telekom, um international mithalten zu können, ist noch höher als ich angenommen hatte. Einerseits geht es sehr bodenständig um die kleinen Welten, um jeden Kirchturm im Lande, andererseits stehen wir jeden Tag aufs Neue in einem weltweiten Wettbewerb. Diese Spreizung ist spannend und schwierig zugleich.

Das heißt?
Höttges: Ich bin davon überzeugt, dass die Deutsche Telekom genau wie die gesamte europäische Industrie Gefahr läuft, auf dem Weltmarkt in den kommenden Jahren ins Hintertreffen zu geraten. Wir befinden uns im digitalen Zeitalter: Alles, was digitalisierbar ist, wird digitalisiert. Und alles, was vernetzbar ist, wird vernetzt. Digitalisierung ihrer Geschäfte wird Unternehmen die größten Produktivitätsfortschritte in der Zukunft bringen. Dabei kommt es darauf an: Wer digitalisiert? Wer organisiert die Daten? Wer stellt die Endgeräte her? Wer besitzt und betreibt die Netze? Welches Land, bietet die beste Infrastruktur? Sehen Sie da irgendwo deutsche oder auch nur europäische Unternehmen vorne? Die Konzerne, die die Digitalisierung beherrschen wie zum Beispiel Google oder Facebook, sitzen in den USA. Wie groß das Ungleichgewicht bereits ist, zeigt ein Vergleich: Google ist an der Börse mehr wert als alle europäischen Telekom-Konzerne zusammen. In anderen Sparten sieht es ähnlich aus. Ich befürchte, dass sich deswegen Industrien in Europa langsamer entwickeln werden oder sogar abwandern.

Was läuft schief?
Höttges: Man kann jetzt fragen: Sind die Manager Schuld oder ist das ein Systemfehler? Ja, Unternehmen haben in manchen Fällen falsch entschieden. Ich glaube aber nicht, dass das allein der Grund dafür sein kann, dass die gesamte europäische Telekombranche inzwischen weltweit so unter Druck steht. In Europa und in Deutschland zielt die Regulierungspolitik zu sehr auf niedrige Verbraucherpreise, statt Investitionen zu fördern.

Wie sähe Ihrer Ansicht nach eine sinnvolle Regulierung aus?
Höttges: Die UMTS-Frequenzen wurden seinerzeit für 100 Milliarden Mark versteigert. Die Folge war, dass die Unternehmen kaum noch Geld für den schnellen Netzausbau hatten. Warum nicht das Prinzip umkehren: Wer das meiste Geld in Infrastruktur investiert, bekommt die Frequenzen.

Was fordern Sie noch?
Höttges: Ich kehre erst einmal vor unserem eigenen Haus. Wir arbeiten in diesem Jahr auf 52.000 Baustellen zum Breitband-Ausbau. Wir werden alle ICE-Züge mit dem schnellen Mobilfunkstandard LTE ausstatten. Wir haben bundesweit 5000 Kooperationen für den ländlichen Ausbau mit Kommunen. Aber mit den derzeitigen Regulierungsvorschriften kommen wir in ländlichen Gebieten kaum auf unsere Kosten. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe mich gerade persönlich um Wachtberg gekümmert. Insgesamt sinken trotz enormen Datenwachstums unsere Umsätze. In Asien und Amerika wachsen sie. Wir könnten viel mehr und viel schneller investieren, wenn uns die Regulierung nicht ausbremsen würde.

Sie wollen doch nur höhere Preise durchsetzen und Ihre Marktführerschaft auf Kosten des Wettbewerbs ausbauen ...
Höttges: Ich wünsche mir, dass wir in Gebieten, wo wir nicht mehr Marktführer sind, aus der Regulierung herausgenommen werden. Zu den Preisen nur ein Beispiel: Während in den USA in den vergangenen Jahren der monatliche Mobilfunkumsatz pro Kunde auf umgerechnet 39 Euro gestiegen ist, ist er in Europa auf 25 Euro gesunken. Warum ist Whatsapp so erfolgreich? Weil sie sich dadurch finanzieren können, dass die Kundendaten analysiert werden. Das dürfen wir nicht. Dies- und jenseits des Atlantiks herrschen oft ungleiche Bedingungen. Hätten wir gleiche Bedingungen, würde die Wertschöpfung nicht in die USA abfließen.

Die Amerikaner hängen uns ab?
Höttges: Ich bin zutiefst beeindruckt, wie die Amerikaner die Wertschöpfung für die nächste Generation sichern. Ich habe den Eindruck, dass wir in Europa die Digitalisierung nicht richtig verstanden haben. Ich mache niemandem Vorwürfe, aber ich möchte nicht in 20 Jahren auf dem Sofa sitzen, und mit einem Smartphone eines ausländischen Herstellers aus ausländischer Produktion mit Apps aus dem Ausland arbeiten, deren Daten über Netze von Dritten kommen. Ich möchte nicht, dass wir nur Anwender sind und nicht mehr Hersteller. Ich möchte, dass die Deutsche Telekom der führende europäische Telekommunikationsanbieter ist.

Sie haben vorhin gesagt, dass Ihnen Ihre neue Funktion auch Türen zur Politik geöffnet hat. Finden Sie in Berlin und Brüssel für Ihre Thesen Verständnis?
Höttges: Aus Berlin erhalte ich positive Signale. In Brüssel scheint mir die Einsicht nur punktuell erreicht zu sein.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Weltwirtschaftspolitik und Sorgen in Wachtberg?
Höttges: Der Anspruch, der an uns gestellt wird, ist von allen Seiten extrem hoch. Manche sehen die Telekom nur als Verbindung zwischen sich und dem Arbeitsplatz oder der Familie und den Freunden. Das sind unsere Kunden, die uns wichtig sind. Um sie bestens zu bedienen, müssen wir aber ein globales Unternehmen sein, führend etwa bei Technologie und Einkauf. Dazu gehören Investitionen und Innovationen...

...die Innovationskraft der Telekom gilt als eher mäßig ...
Höttges: Da widerspreche ich entschieden. Wir haben die besten Netzwerkingenieure weltweit. Und wenn sie ein konkretes Beispiel haben wollen: Wir werden noch in diesem Jahr als erstes Unternehmen weltweit einen Hybridrouter auf den Markt bringen, der den Datenverkehr mobil und im Festnetz gleichzeitig steuert. Denn während morgens und abends viel Verkehr auf dem Festnetz liegt, sind tagsüber die Mobilfunknetze beansprucht und umgekehrt. Unser Hybridrouter macht sich das zunutze und steuert die Daten jeweils dorthin, wo wenig Verkehr ist. Gerade in weniger gut versorgten Gebieten erhöhen sich die Bandbreiten so kräftig. Übrigens schaffen wir auch deutlich höhere Uploadraten, wichtig, wenn sie schnell viel ins Internet hochladen wollen. Denken Sie zum Beispiel an interaktive Spiele oder Cloud-Services. Selbstkritisch will ich aber auch einräumen, dass wir bei Applikationen nicht so innovativ sind. Teil unserer Strategie ist es deshalb, noch viel intensiver mit vielen kleinen Firmen zu kooperieren, die das besser können.

Vor kurzem wurden Millionen E-Mail-Adressen in Deutschland gehackt, darunter auch 87.000 von T-Online. Warum konnten Sie das nicht verhindern und wie beugen Sie vor?
Höttges: Cyberkriminalität ist ein riesiges Problem und wird weiter wachsen. Nur um Ihnen eine Zahl zu nennen: Wir registrieren im Schnitt 800.000 Angriffe auf unsere Telekom-Netze - und zwar täglich. Im konkreten Fall, den Sie ansprechen, konnten wir nichts machen, weil nicht wir angegriffen wurden, sondern die Nutzer selbst. Kunden, die zusätzliche Sicherheit wünschen, können sie von uns auch bekommen: Kryptohandys, SSL-Verschlüsselung, De-Mail ... Keiner tut so viel, wie wir.

Aber sind sie auch bereit, dafür zu bezahlen? De-Mail ist doch eher ein Ladenhüter. Ihre Konkurrenten 1&1 und Web.de bieten das Produkt sogar schon kostenlos an.
Höttges: Wir haben De-Mail-Kunden und wir wachsen in diesem Bereich. Allerdings, das ist richtig, liegen wir deutlich unter der Million Kunden, die wir geplant hatten. Geschäftskunden sind interessierter daran als Privatkunden. Wir stellen das Produkt aber nicht infrage.

Sie haben in dieser Woche einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen mit bis zu fünf Prozent mehr Geld für die Beschäftigten und verlängertem Kündigungsschutz. Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Höttges: Dieser Tarifvertrag hat eine ganz neue Qualität. Wir haben uns ohne großen Streik und ohne Schlichter verständigt. Das hat es bei der Telekom lange nicht mehr gegeben. Ich denke, das sagt auch etwas aus über die Kultur und die Art, wie wir zusammenarbeiten. Unsere Mitarbeiter sind mir wichtig, auch die ehemaligen. Inzwischen entwickeln wir auch Traditionsbewusstsein, 18 Jahre nach dem Börsengang, frei nach dem Motto: Keine Zukunft ohne Herkunft. Wir arbeiten gerade an einem Programm, bei dem wir unsere Ruheständler und ehemaligen Mitarbeiter stärker mit einbeziehen wollen.

Gehört dazu auch Ihre jetzt ehemalige Personalvorständin Marion Schick? Freitagabend kam die Meldung, dass sie die Telekom verlässt.
Höttges: Es stimmt, Marion Schick ist krank und wird die Telekom aus gesundheitlichen Gründen verlassen. Ich hoffe, dass es ihr bald wieder besser geht und wünsche ihr im Namen aller Mitarbeiter gute Besserung.

Inwiefern beschäftigt Sie bei Ihrer Arbeit auch Bonn?
Höttges: Vorhin habe ich von hohen Ansprüchen gesprochen, Ansprüchen der Kunden, der Mitarbeiter. Ich habe hohe Ansprüche an mich selbst. Bonn ist auch sehr anspruchsvoll. Wenn wir den Bahnhof nicht komplett mit Wlan versorgt haben, landet das beim General-Anzeiger gleich auf der Titelseite. Das ist auch okay, das ist Ihre Aufgabe, und wir stehen auch dazu, dass Bonn die Telekom-Stadt ist. Insofern hilft uns das in diesem Fall auch, besser zu werden. Aber die Anspruchshaltung hilft eben nicht immer.

Wo denn nicht?
Höttges: Wir beschäftigen hier in Bonn viele hoch qualifizierte Mitarbeiter, immer mehr von ihnen kommen aus dem Ausland. Die haben auch Ansprüche an die Stadt, in der sie wohnen. Da sage ich: Beethoven ist wichtig, aber Beethoven alleine reicht nicht. Wir brauchen Konzerte in der Rheinaue, wir brauchen in der Kunst- und Kulturszene Experimente, wir brauchen den Sport, kurz: Wir brauchen Dynamik in dieser Stadt. Ich wünsche mir, dass wir die Diskussion über Lärm nicht länger so negativ führen. Das, was da Lärm verursacht, macht auch Spaß, Freude.

Was tragen Sie dazu bei?
Höttges: Wir sind gerne in Bonn, stecken rund fünf Millionen Euro jährlich in zahlreiche Aktivitäten rund um Kulturförderung wie das Beethovenfest, soziale Themen sowie beim Sport in die Telekom Baskets. Ich verspreche Ihnen heute schon: Am 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens werden wir dabei sein, laut dabei sein, ob im Festspielhaus oder in der Rheinaue open air.

Zur Person

Timotheus Höttges, Solinger und Jahrgang 1962, studierte in Köln Betriebswirtschaftslehre und trat 1989 in die Hamburger Unternehmensberatung Mummert und Partner ein. 1992 wechselte er zur Viag AG. 2000 kam er als Geschäftsführer Finanzen und Controlling zu T-Mobile Deutschland.

Danach stieg der als exzellenter Analytiker geltende Manager über mehrere Stationen zum Finanzvorstand an der Seite von Telekom-Chef René Obermann auf. Nach dessen Rücktritt wurde Höttges zu Jahresbeginn Telekom-Chef. Höttges ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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