Interview zur Netzneutralität Stanford-Professorin Van Schewick: „Netzbetreiber gegen den Rest der Welt“

Bonn · Die gebürtige Bonnerin und Stanford-Professorin Barbara van Schewick setzt sich für Netzneutralität ein. Die amerikanischen Regulierungsbehörden haben ihre Vorschläge im vergangenen Jahr in Form von Netzneutralitätsregeln umgesetzt.

 Barbara van Schewick wurde 1972 in Bonn geboren und lebte in den ersten zehn Lebensjahren in Bonn und Sankt Augustin.

Barbara van Schewick wurde 1972 in Bonn geboren und lebte in den ersten zehn Lebensjahren in Bonn und Sankt Augustin.

Foto: Barbara van Schewick

Frau van Schewick, für Sie ist Netzneutralität eine Herzensangelegenheit. Warum?

Barbara van Schewick: Das Internet ist ein Markt der Ideen. Jeder kann seine Meinung sagen, nicht nur Menschen, die wichtig sind, reich oder berühmt. Die traditionellen Türsteher der öffentlichen Debatte gibt es hier nicht. Netzneutralität soll diese Möglichkeit erhalten und gleiche Bedingungen für alle schaffen, für Privatleute, kleine und große Unternehmen, Kirchen, Verbände, Organisationen, Blogger, Aktivisten oder Bürgerinitiativen.

Das EU-Parlament hat im Oktober Regeln zur Netzneutralität verabschiedet. Wie beurteilen Sie diese Regelungen?

Van Schewick: Der Gesetzentwurf war gekoppelt mit der Abschaffung der Roaming-Gebühren. Um diesen populären Beschluss nicht zu gefährden, haben die Parlamentarier auch den Netzneutralitätsregeln zugestimmt und die vorliegenden Änderungsanträge abgelehnt.

Wie tun Sie das?

Van Schewick: Ich spreche das Thema an, kläre auf und berate Politiker und Regulierungsbehörden. Gemeinsam mit Tim Berners-Lee, dem Begründer des World Wide Web, und Harvard-Professor Larry Lessig, der sich als einer der ersten mit Internetpolitik beschäftigt hat, habe ich einen offenen Brief geschrieben, in dem wir dazu aufgefordert haben, sich an der öffentlichen Konsultation des Gremiums Europäischer Regulierungsbehörden für elektronische Kommunikation (Gerek) zu beteiligen, das gerade Leitlinien für die EU-Regeln zur Netzneutralität entwickelt.

Die öffentliche Konsultation hat jetzt gerade geendet. Was hat sie ergeben?

Van Schewick: Netzneutralität wird von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt. 500.000 Menschen haben an der Konsultation teilgenommen. Mehr als 140 Investoren und Unternehmensgründer haben in einem offenen Brief Position für starke Netzneutralität bezogen, darunter Skype-Gründer Niklas Zennström. 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt haben in einem offenen Brief eine Verbesserung der Leitlinien gefordert. Jetzt sind die europäischen Regulierungsbehörden am Ball.

Können wir Bürger darüber hinaus etwas für Netzneutralität tun?

Van Schewick: Als 2014 in den USA das freie Internet ebenfalls auf dem Spiel stand, gab es eine große öffentliche Debatte. Die amerikanischen Regulierungsbehörden haben dann im Februar 2015 Netzneutralitätsregeln auf Basis meiner Vorschläge erlassen. Hier gibt es immer noch viele, die von Netzneutralität noch nichts gehört haben. Doch jeder sollte sich die Frage stellen: Wie soll das Internet meiner Kinder aussehen? Es ist keinesfalls zu spät, die Abgeordneten in Landtag und Bundestag zu mobilisieren.

Und welche Rolle spielen bei all dem die Netzbetreiber?

Van Schewick: Netzbetreiber gegen den Rest der Welt, so würde ich die Situation beschreiben. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Netzbetreiber ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen vertreten und Lobbyarbeit leisten. Vor etwa einer Woche haben die größten Telekommunikationsfirmen Europas, darunter auch das Bonner Unternehmen Telekom, ein 5G-Manifest veröffentlicht und darin gedroht, dass sie die Investitionen in diese nächste Generation des Mobilfunks verzögern werden, wenn die Regulierungsbehörden die Leitlinien nicht deutlich abschwächen.

Worüber genau gibt es unterschiedliche Auffassungen?

Van Schewick: Zum Beispiel wird der Begriff der Spezialdienste, für die schnellere Überholspuren im Internet auch zukünftig eingerichtet werden dürfen, von den Netzbetreibern anders ausgelegt, als es ursprünglich gedacht war. Während die Ausnahmeregelung eigentlich nur für wirklich dringende Anwendungen gelten sollte, wie Datenübertragung im Rahmen der Telemedizin, verstehen die Netzbetreiber zum Beispiel auch Online-Spiele als Spezialdienst und wollen hierfür schnelleren Datentransfer ermöglichen. Das ist für sie mit wirtschaftlichen Vorteilen verbunden. Aber wenn es bezahlte Überholspuren für normale Internetanwendungen geben sollte, haben kleinere Unternehmen, die sich das nicht leisten können, keine Chance mehr.

Frau van Schewick, Sie sind gerade in Meckenheim zu Besuch, haben Ihren Arbeitsplatz für diese Zeit von Stanford ins Rheinland verlegt. Sie verfolgen nicht nur die Entwicklungen in Deutschland und Europa zum Thema Netzneutralität...

Van Schewick: Das ist richtig. Auch in Kanada und Indien gibt es öffentliche Anhörungen. Auch diese Entwicklungen verfolge und begleite ich. Es ist offenbar der Sommer der Netzneutralität.

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