Akkordeon-Fabrik Cantulia Siegburger belieferten einst den Weltmarkt

SIEGBURG · Als im vergangenen Jahr das 216. Museumsgespräch gestaltet wurde, hatte Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger zwei Zeitzeugen zu Gast, die für die Dauer eines Abends im Museum einen verlorenen Siegburger Platz mit ihren Worten und mit ihrer Musik nach Siegburg zurückholten.

Toni (88) und Gisela Koch (87) bezeichnen sich auch heute noch als "Cantulisten", auch wenn ihr ehemaliger Arbeitgeber, die Siegburger Cantulia, seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr besteht. Die originalen Cantulia-Akkordeons, die Koch zu seiner Sammlung zählt, liegen ihm besonders am Herzen. In der Cantulia arbeitete er als Stimmer, hier lernte der nebenberufliche Alleinunterhalter auch seine spätere Frau und große Liebe Gisela kennen.

Die Akkordeon-Fabrik wurde im Januar 1937 auf dem Gelände der 1914 geschlossenen Kattunfabrik Rolffs & Co. am Platze der heutigen Siegwerk AG in angepachteten Hallen eröffnet. Die klingenden Produktionen der Siegburger "Cantulia Neuerburg", einer Neugründung der Traditionsfirma "Kahnt & Uhlmann" aus Altenburg/Thüringen, gingen auf den Weltmarkt und fanden hier recht gute Abnahme.

Die Zeit der Siegburger Cantulia währte insgesamt 20 Jahre. Am 31. Dezember 1957 schloss die Manufaktur ihre Pforten. Heute erinnert auf dem Gelände nichts mehr an die erfolgreiche Zeit des Akkordeon-Werks. Spurlos verschwunden scheint auch das Maskottchen, ein kleiner Marmormann mit Akkordeon, der einst den Eingangsbereich des Werks schmückte.

Der Name Cantulia ist Akkordeon-Spielern auch heute noch ein Begriff. Das Instrument, dessen Markenzeichen das rote "C" auf der Taste "C" war, wird in Kennerkreisen geschätzt und bei Internet-Auktionen auch heute noch gerne gehandelt. Auch wenn der größte und einzige Konkurrent "Hohner" letztlich das Rennen machte - die Siegburger Neugründung der Traditionsfirma "Kahnt & Uhlmann" setzte auf nicht minder hohe Qualität und Handarbeit.

Der Gründer Walter Neuerburg war der jüngere Sohn der gleichnamigen Kölner Zigarettenfabrik ("Overstolz") und wahrscheinlich auch selbst Akkordeonspieler. Das Instrument wurde deutschlandweit geschätzt. Es entstanden "Cantulia-Orchester" im gesamten Bundesgebiet, deren Markenbekenntnis im Namen einen eigenen Anspruch betonte.

Vor dem Zweiten Weltkrieg verdoppelte sich die Verkaufszahl der Siegburger Cantulia-Akkordeons von 2500 auf 5000 Stück jährlich. Während des Krieges war die Cantulia Siegburg geschlossen - ein Großteil der Belegschaft war, wie Toni Koch, zum Kriegsdienst eingezogen und nahm dann nach 1945 wieder den Dienst in der Cantulia auf. Mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg produzierte auch die Cantulia wieder.

1953 arbeiteten 250 "Cantulisten" als Stimmer, Mechaniker, Tischler oder Belederer in der "klingenden Fabrik am Michaelsberg". Insgesamt 1400 Instrumente, die in aufwändiger Kleinarbeit hergestellt werden mussten, verließen damals monatlich das Siegburger Werk. Die Produktionsvorgänge gingen vom Vorstimmen der Instrumente über das Beledern der Stimmzungen bis zum letzten Stimmschliff durch die geübten Stimmer der Cantulia.

Nicht ganz geklärt ist bis heute, warum die Cantulia schloss. Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger, die die Veröffentlichung eines Siegburger Blatts über die Cantulia plant, steckt noch in den Recherchen. Naheliegend sei jedoch die Vermutung, dass die Zeit und damit auch der Geschmack über diese Hausinstrumente hinweggerollt sei.

Stimmbank im Stadtmuseum

Eine originale Stimmbank der Cantulia wird demnächst im Siegburger Stadtmuseum zu sehen sein. Der heute 75-jährige Oberlarer Reinhold Meffert war bei Schließung des Werks mit seinen 17 Jahren der damals jüngste Facharbeiter der Cantulia. In Siegburg machte er seine Ausbildung und den Gesellenbrief als Handharmonika-Stimmer.

Später arbeitete er unter anderem im Bonner Orgelbaubetrieb Klais. Ein ehemaliger Kollege schenkte ihm in den 50er Jahren die Stimmbank mit eingebautem Gebläse, Stimmzungenskala und Intonationsfläche, an der eine Vielzahl an Siegburger Akkordeons ihren "letzten Schliff" erhielten.

Das wertvolle Erinnerungsstück überlässt Meffert nun dem Museum. "Mein Leben ist Musik", sagt Meffert, der einen Teil seines Lebens demnächst im Museum besichtigen kann. Dort wird die Stimmbank im kommenden Jahr im Museumsschaufenster präsentiert.

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