Firmen bei uns Rheinbreitbacher Unternehmen revolutioniert Babynahrung

Rheinbreitbach · Mit einem weltweit einzigartigen Verfahren produziert die Firma Jennewein menschlichen Milchzucker für Babynahrung. Seine Produkte verkauft das Unternehmen weltweit - jedoch nicht in Deutschland.

 In den Metallbehältern lagert der Grundstoff für die Produktion der Zuckermoleküle: Geschäftsführer Stefan Jennewein (links) und Produktionsleiter Ingmar Bürstel überwachen das Verfahren.

In den Metallbehältern lagert der Grundstoff für die Produktion der Zuckermoleküle: Geschäftsführer Stefan Jennewein (links) und Produktionsleiter Ingmar Bürstel überwachen das Verfahren.

Foto: Frank Homann

Im Konferenzraum der Firma Jennewein stapeln sich die Dosen mit Babynahrung. „Diese Sorte kommt aus den USA“, sagt Geschäftsführer Stefan Jennewein und greift zu einer weiteren Packung: „Das hier wird in Hongkong verkauft.“ Allen gemeinsam ist ein Zusatz, der im Rheinbreitbacher Industriegebiet produziert wird: Jennewein stellt mit einem aufwendigen Fermentationsverfahren sogenannten humanen Milchzucker her, einen Stoff, der sonst ausschließlich in menschlicher Muttermilch vorkommt.

Dass Stillen für die Entwicklung von Säuglingen optimal ist, darüber ist sich die Wissenschaft einig. Aber nicht immer lässt sich die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation umsetzen, Säuglinge bis zum sechsten Lebensmonat ausschließlich mit Muttermilch zu ernähren. Manchen Frauen verursacht das Stillen Probleme.

„Unser Ziel war es, stärker an die Zusammensetzung von Muttermilch anzunähern“, sagt der zweifache Vater Jennewein. Bisher fehlten im Fläschchen die humanen Milchzucker. Diese Moleküle schützten Säuglinge nicht nur vor Infektionen wie dem Noro-Virus, sagt Jennewein. Sie förderten außerdem die neuronale Entwicklung und wirkten entzündungshemmend.

Das Problem: Die rein chemische Herstellung der künstlichen Zuckermoleküle ist zu teuer, um sie wirtschaftlich zu betreiben. Biochemiker Jennewein suchte und fand eine Alternative. Das Rheinbreitbacher Unternehmen hat ein nach eigenen Angaben weltweit einzigartiges Verfahren entwickelt, bei dem speziell für diesen Zweck entwickelte Bakterien in einem Behälter, dem industriellen Fermenter, den Milchzucker produzieren. Die Bakterien werden anschließend herausgefiltert, der Milchzucker gereinigt und getrocknet.

Suche nach einem neuen Grundstück

„Die Maschinen laufen hier rund um die Uhr“, sagt Jennewein. Er sucht ein geeignetes Grundstück, um die Produktion deutlich auszuweiten. „Wir wollen die größte Fermentationsanlage bauen, die es in Zentraleuropa in den vergangenen 50 Jahren gegeben hat“, kündigt Jennewein an.

Rund 15 Gramm der Milchzucker werden pro Tag für die Babynahrung benötigt. Mehrere Hundert Tonnen des Pulvers verlassen jedes Jahr die Fertigung in Rheinbreitbach. Ihre Ziele: die USA, Mexiko, Asien. In Deutschland gibt es bisher keine Babynahrung mit dem Biotech-Zusatz, obwohl Jennewein 2017 die wichtige Hürde der EU-Zulassung genommen hat. Der Firmenchef attestiert den Deutschen eine gewisse Fortschrittsfeindlichkeit: „Anderswo ist Babynahrung längst ein Hightech-Produkt“, sagt Jennewein. „Bei uns ist den Eltern das Bio-Siegel oft wichtiger als eine sinnvolle Zusammensetzung des Milchpulvers.“ Auch die höheren Preise für die Babynahrung mit Zusatz würden die sparsamen Deutschen abschrecken, vermutet er. „Das ist in den USA oder in China völlig anders.“

Doch Jennewein hofft darauf, dass sich die neuartige Babynahrung auch in Europa durchsetzt. Schließlich hat der Wissenschaftler große Ziele: Das Unternehmen entwickelt derzeit weitere Milchzucker, sodass es künftig nach eigenen Angaben das Profil von Muttermilch weitgehend nachbilden kann. „Eine klinische Studie dazu endet 2019“, sagt Jennewein.

Der Natur einen Schritt näherkommen

Weil der Platz in Rheinbreitbach knapp wird, richtet das Unternehmen derzeit gemietete Räume an der Bonner Mildred-Scheel-Straße zu einem Forschungszentrum ein. Bis zu 30 Menschen sollen hier in diesem Jahr die Arbeit aufnehmen. Die Belegschaft hat Jennewein im vergangenen Jahr auf rund 80 Menschen verdoppelt und auch 2018 will der Mittelständler mit einem Jahresumsatz im mittleren zweistelligen Millionenbereich seine Belegschaft deutlich aufstocken.

Bis das Geschäft mit dem Muttermilch-Ersatz in Fahrt gekommen ist, verbrachte Jennewein Jahre mit der Forschung. 2005 hat der Wissenschaftler das Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder gegründet. „Ich wollte in der Biotechnologie etwas entwickeln, das eine breite Anwendung findet“, sagt Jennewein, der bereits an zahlreichen renommierten internationalen Universitäten gearbeitet hat. Muttermilch bleibe nach wie vor die beste Nahrung für einen Säugling, sagt Jennewein, „gegen 300 Millionen Jahre Evolution kommt niemand an“. Aber er will dem Rezept der Natur immer einen Schritt näher kommen.

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