Landwirtschaft Rasen statt Rüben

Bonn/Niederkassel · Die EU streicht 2017 mit dem Ende der Zuckermarktordnung den Festpreis für Zuckerrüben. Landwirt Peter Capellmann aus Niederkassel setzt auf Alternativen, um auf die Umstellung auf den Weltmarktpreis gewappnet zu sein.

Der Weg zum Rübenacker von Peter Capellmann führt von der A59 durch das Industriegebiet Troisdorf-Spich, vorbei am Golfplatz. Neben dem Feld mit den dunkelgrün glänzenden Blättern hat jemand eine alte Matratze abgeladen. Auf Schildern bittet der Landwirt Spaziergänger, ihre Hunde nicht dort ihr Geschäft verrichten zu lassen, wo der Grundstoff für Zucker wächst. Kurz: Zwischen Bonn und Köln rücken die Städter den Bauern nah, manchmal zu nah.

Das alles, sagt Capellmann, sei für ihn genauso zu verkraften wie seine 70-Stunden-Arbeitswoche. Was den 56-Jährigen allerdings in Rage bringt, ist die Agrarpolitik. Wenn Ende September kommenden Jahres die Quoten und Mindestpreise der europäischen Zuckermarktordnung endgültig wegfallen, dann sei „völlig offen, ob und wie lange der Rübenanbau sich noch lohnt“, sagt Capellmann, der in zweiter Generation den Broicher Hof im Niederkasseler Ortsteil Stockem bewirtschaftet. „Wir Landwirte sind Wandel und Anpassung seit Jahrzehnten gewohnt, aber ohne eine zumindest mittelfristige Planungssicherheit können wir einfach nicht arbeiten.

“Die Zuckerrübe war für die rheinischen Bauern bisher eine besonders lukrative Feldfrucht. „Auf die Einkünfte aus der Rübenernte konnten sich die Landwirte verlassen“, sagt Capellmann. „Gunstregion“ nennen Fachleute die Anbaugebiete in der Region: Mildes Klima und fruchtbarer Lössboden lassen die Rübenpflanzen gedeihen. Kurze Wege zu den Zuckerfabriken und Industriebetrieben halten die Kosten niedrig.

„Das Rheinland gehört zu den am intensivsten genutzten Rübenanbaugebieten Europas“, sagt Peter Kasten, Geschäftsführer des Rheinischen Rübenbauern-Verbands mit Sitz in Bonn. Rund 150 Landwirte bauen hier die weißen Feldfrüchte auf einer Fläche von rund 2000 Hektar an.

Landwirt Capellmann bewirtschaftet 270 Hektar, die meisten Felder sind gepachtet. Auf 17 Prozent der Fläche pflanzt er Zuckerrüben an, auf den anderen Feldern wachsen unter anderem Getreide und Futtererbsen.

Der Weg der Zuckerrübe vom Feld in die Fabrik folgt einer ausgeklügelten Logistik. Kaum ein Landwirt kann sich einen der modernen Rübenroder für eine halbe Million Euro leisten. Deshalb tun sich die Bauern in sogenannten Maschinenringen zusammen. Mehr als 100 Landwirte aus der Region organisieren Ernte und Transport der Rüben gemeinsam und helfen sich gegenseitig mit Geräten aus. Schon zu Beginn der Erntesaison, der sogenannten Rübenkampagne, werde festegelegt, welches Feld an welchem Tag abgeerntet wird, sagt Capellmann.

Sind die Früchte erst einmal am Feldrand gestapelt, gilt es, keine Zeit zu verlieren. Mit jedem Lagertag sinkt der Zuckergehalt. So schnell wie möglich schaffen die Bauern ihre Ernte daher zum Verarbeiter – in der Regel nach Euskirchen in die Zuckerfabrik Pfeifer & Langen des gleichnamigen Kölner Unternehmens. Hier entsteht unter anderem der „Diamant-Zucker“.

Jährlich 60 000 Tonnen Zuckerrüben aus dem Vorgebirge verarbeitet die Grafschafter Krautfabrik in Meckenheim zu ihrem traditionellen schwarz-süßen Brotaufstrich. Hier macht man sich keine Sorgen um den Rüben-Nachschub nach Ende der Zuckermarktordnung. „Wir haben gerade erst mit unseren Lieferanten die Preise für 2017/18 verhandelt“, sagt Heinz-Peter Koch, kaufmännischer Leiter.

Was die Bauern für ihre Ernte bekommen, war bisher durch den von Brüssel festgelegten Mindestpreis weitgehend berechenbar. Bei der diesjährigen Ernte sind es 2,63 Euro pro 100 Kilo bei 16 Prozent Zuckergehalt der Rüben. 2017 wird alles anders. Für zunächst drei Jahre lege ein mit der Zuckerfabrik Pfeifer & Langen ausgehandelter Vertrag den Rübenpreis in der Region fest, sagt Landwirt Capellmann. „Was danach kommt, weiß keiner.“ Zu den langfristigen Perspektiven wollte sich Pfeifer & Langen auf Anfrage nicht äußern.

„Nach fast 50 Jahren Quotensystem ist der Umbruch schon eine eklatante Herausforderung“, sagt Verbandsvertreter Kasten. Trotzdem sei er „nicht pessimistisch“. „Wir glauben, mit dem heimischen Zucker auf dem Markt bestehen zu können.“ Zeitweise habe der Weltmarktpreis bereits über dem europäischen Quotenpreis gelegen.

Darauf will sich Familie Capellmann aus Niederkassel jedoch nicht verlassen. Um sich von den schwankenden Preisen der Agrar-Märkte unabhängiger zu machen, suchte sie sich zusätzliche geschäftliche Nischen: Auf einigen Feldern wächst jetzt statt Getreide oder Rüben Rollrasen. Im Hofladen des malerischen Backsteinhauses verkauft der Landwirt Wild, Obst und Gemüse. Capellmanns Sohn ist mit in den Betrieb eingestiegen. Wie es weitergeht? „Wir schauen mal“, sagt er und zuckt mit den Schultern.

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