Wirtschaftswachstum in Deutschland NRW ist nicht mehr Schlusslicht

Düsseldorf/München · In NRW wurde im ersten Halbjahr ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent erzielt. Die deutsche Wirtschaft erwartet einen goldenen Herbst.

Die nordrhein-westfälische Wirtschaft ist im ersten Halbjahr 2016 wieder gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,1 Prozent zu, entwickelt sich jedoch weiterhin unter dem Bundesschnitt (2,3 Prozent). In der Bundesländer-Rangliste des ersten Halbjahres belegte NRW Platz acht.

Im Gesamtjahr 2015 hatte ein Nullwachstum der NRW-Wirtschaft und der letzte Platz im Ländervergleich für Aufsehen gesorgt. Auch wenn die Statistiker auf Unsicherheiten in der aktuellen Halbjahresberechnung hinwiesen, zeigte sich NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) erleichtert. „Wir kommen von 0,0. Das ist ein starkes Zeichen von Aufbruch“, sagte Duin. Der Abstand zum Bundesschnitt falle sogar geringer aus als in den Statistiken seit 2008. Wachstumsspitzenreiter ist Bayern mit 3,3 Prozent.

Brexit-Schockist verdaut

Arbeitgeber-Präsident Arndt Kirchhoff erklärte, er sei zwar erleichtert, dass dem Land ein weiterer Schock erspart geblieben sei. Von einer robusten Aufwärtsentwicklung könne jedoch keine Rede sein. „Ich warne die Landesregierung dringend davor, sich jetzt auf diesem Signal der Hoffnung auszuruhen“, so Kirchhoff. FDP-Chef Christian Lindner kritisierte die Europhorie der Landesregierung: „Der Jubel von Wirtschaftsminister Duin ist Zeichen seiner offensichtlichen Verzweiflung. Die seit Jahren verfestigte Wachstumslücke in NRW vergrößert sich immer weiter.“ CDU-Wirtschaftsexperte Hendrik Wüst wies darauf hin, dass sich bei genauerer Betrachtung die „De-Industrialisierung“ des Landes fortgesetzt habe.

Verantwortlich für das wieder gestiegene BIP in NRW ist in der Tat der Dienstleistungssektor. Vor allem der Umsatz in der Logistik-Branche verzeichnete im zweiten Quartal ein Plus von mehr als zehn Prozent. Die Industrieproduktion schrumpfte dagegen um 1,7 Prozent. Im Maschinenbau (minus 4,5 Prozent) und in der Chemie (minus 2,7 Prozent) gibt es starke Einbrüche. „Die Entwicklung im Dienstleistungssektor ist gut, in der Industrie nicht“, räumte Duin ein.

Der Wirtschaftsminister macht für die Erschütterung der industriellen Basis die hohe Abhängigkeit Nordrhein-Westfalens von Grundstoff-Industrien und vom innereuropäischen Export verantwortlich. Am heutigen Dienstag befasst sich das Landeskabinett mit einem „Wirtschaftsbericht NRW“, der Wege aus einer strukturellen Schieflage aufzeigen soll. Die Investitionsquote in NRW liegt etwa klar unter Bundesschnitt, die Forschungsaufwendungen von Land und NRW-Wirtschaft ebenfalls.

Die deutsche Wirtschaft erwartet trotz schwierigem Umfeld einen goldenen Herbst. Das signalisiert der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Das wichtigste Konjunkturbarometer Deutschlands ist im September über alle Erwartungen deutlich auf 109,5 Punkte und damit auf ein Niveau wie zuletzt im Mai 2014 gestiegen. „Der Brexit-Schock ist erst einmal verdaut“, erklärte Ifo-Konjunkturexperte Klaus Wohlrabe den sprunghaften Stimmungsaufschwung unter deutschen Managern drei Monate nach dem britischen Beschluss zum EU-Austritt. Zuvor war der Ifo-Index zweimal in Folge gesunken, im August auf 106,3 Punkte. Besonders bemerkenswert bei der Kehrtwende ist, dass die 7 000 von Ifo befragten Manager nicht nur die wirtschaftliche Lage ihrer Betrieb verbessert sehen sondern sich vor allem auch ihre Erwartungen an Geschäfte in den kommenden sechs Monaten massiv aufgehellt haben. Speziell in der Industrie ist dieser Effekt so groß ausgefallen wie zuletzt nach dem Abklingen der Banken- und Finanzkrise, betont Ifo. Auch deutsche Banker zeigten sich deshalb überrascht. „Das war ein wichtiger Pflock, den die Unternehmen gegen den zunehmenden Pessimismus eingeschlagen haben“, betonte der Konjunkturexperte der Deka-Bank Andreas Scheuerle.

Er und Kollegen anderer Finanzinstitute sehen vor allem den privaten Konsum und auch die boomende Bauwirtschaft als entscheidende Impulsgeber für die heimische Wirtschaft. „Der Verbraucher scheint keine Sorgen zu haben und geht weiter einkaufen“, betonte auch Wohrabe. Andere Wirtschaftsauguren bleiben vorsichtig und warnen, dass das Stimmungshoch hier zu Lande nur von kurzer Dauer sein könnte. Sie verweisen auf globale Krisenherde und die Präsidentschaftswahl in den USA, wo mit Donald Trump ein Kandidat in den Startlöchern steht, der den außenwirtschaftlichen Kurs der weltgrößten Volkswirtschaft in Frage stellt.

Zweifel daran, dass der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland auch im zweiten Halbjahr weitergeht, hat aber niemand ernsthaft. Allenfalls wird mit einer leichten Abschwächung des Wachstums gegenüber dem starken ersten Halbjahr gerechnet.

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