GA-Serie "Bonn macht erfinderisch" - Folge 2 Keine Lust auf Einheitsbrei

Bonn · Beim Essen und Trinken sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Das zeigt sich in der Region auch an der Vielzahl von Start-ups, die neue Produkte auf den Markt bringen. Der Kundenwunsch nach originellen Lebensmitteln ist ihre Chance, sich zu beweisen.

„Für viele gilt nur das Motto 'Geiz ist geil'“, sagt die Bonner Lebensmittelingeneurin Dunia El-Said. Denn der Weg zum Discounter sei nicht weit. Dort locken täglich Billigangebote die Kunden. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarn geben die deutschen Bundesbürger sehr wenig für Essen und Trinken aus – gerade mal 15 Prozent ihres Monatsbudgets. Das hohe Preisbewusstsein sei typisch für den übersättigten Lebensmittelmarkt, sagt El-Said.

Auf der anderen Seite gebe es aber immer mehr Menschen, die billige Massenware ablehnen und sich aus verschiedenen Gründen bewusst dem Genuss und der höheren Qualität widmen. „Es ist in Deutschland ein Trend zu erkennen, dass immer mehr Leute auch bei Lebensmitteln auf Nachhaltigkeit achten“, sagt El-Said. Sie sehe bei Konsumenten mittlerweile immer öfter eine gewisse Bereitschaft, für ein gutes Produkt auch mehr zu bezahlen.

Gerade nach Reisen in andere Länder seien viele Menschen offener für die Suche nach Produkten abseits der Supermarktregale und das Ausprobieren von neuen Geschmackssorten: „Viele sagen sich: ‘Ich habe keine Lust mehr auf den Einheitsbrei‘.“ Zwar gebe es in Supermärkten gefühlt eine immer größere Auswahl, aber letztlich schmeckten doch alle ähnlich. „Das ist die Chance für Start-ups, als mutige, kleine Gründer in Nischen einzudringen“, glaubt sie. Dazu, das weiß sie aus eigener Erfahrung, gehöre eine Portion Egoismus. „Es reicht nicht, nur eine coole Idee und ein leckeres Produkt zu haben. Man muss sich auch als Person präsentieren und vermarkten können“, sagt die 48-Jährige.

Eine, die das in Bonn derzeit versucht, ist Julia Huthmann. Die studierte Wirtschaftsingenieurin schmiss vor drei Jahren ihren Job in der Abteilung für Nachhaltigkeit bei der Biomarktkette Alnatura. Doch Nachhaltigkeit blieb Huthmanns Lebensaufgabe. Sie reiste privat nach Sri Lanka und brachte in Projekten ihre Berufserfahrung bei Biolandwirten sowie bei kleinen Läden ein. Während ihres zweijährigen Aufenthaltes entdecke sie eine Sache ganz besonders für sich: die Jackfruit. Diese vor allem in Südostasien auf Bäumen wachsende, grüne Stachelfrucht hat es ihr regelrecht angetan. „Ich konnte anfangs überhaupt nicht rausschmecken, ob im Curry Hühnchen oder Jackfruit ist“, beschreibt sie den besonderen Geschmack der fleischlosen Alternative.

Fleischlose Frikadellen aus Sri Lanka

Aus der Geschmacksexplosion wurde so eine Idee: Sie wollte die tropische Frucht in ihre deutsche Heimat importieren und hier als Produkt für vegetarische Frikadellen und andere Gerichte verkaufen. Nachdem sie im Frühjahr erfolgreich am Gründerwettbewerb „Gründen-Live“ teilnahm, ging es für sie nach der Rückkehr im April recht schnell und nun ist es soweit. Gerade verteilt sie Kostproben ihrer Lieblingsfrucht mit dem Namen Jacky F. an kleine Bonner Läden und Restaurants. Bald, so hofft sie, stehen die Dosen und Gläser mit der Frucht, inklusive der von ihr erstellten Rezepte, in Regalen und auf Speisekarten in ganz Deutschland.

Auch der Online-Handel steht in den Startlöchern. In diesen Tagen wartet sie auf 300 Dosen aus Sri Lanka. Während der sonstige Vertrieb über einen Lieferanten in Hamburg läuft, will sie sich um das Online-Geschäft zunächst selbst kümmern. „Es schadet nicht, die ganzen Abläufe mal selbst kennen zu lernen und zu sehen, was alles dahinter steckt. Das ist eben echte Unternehmerliebe“, sagt die 32-Jährige stolz.

Huthmann ist mit der Frucht nicht allein auf weiter Flur. Auch andere Gründer drängen mit sogenannten Superfoods und Naturprodukten auf den Lebensmittelmarkt. Ob Quinoa-Samen oder Goji-Beeren: die neuen oder teils wiederentdeckten Produkte kommen bei jungen Leuten an und mischen die Branche auf. Neben der gesunden Ernährung rücken dabei immer stärker die Themen Fairer Handel und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt. Für viele Konsumenten wird der bewusste Umgang mit Nahrungsmitteln zunehmend wichtiger.

Alte Produkte hipper vermarktet

Gerade deshalb sei geschickte Markenbildung und Produktentwicklung so wichtig, findet El-Said: „Bei vielen Produkten handelt es sich nicht wirklich um Neuentdeckungen. Da werden bereits bekannte Produkte einfach schicker und auf ein bestimmtes Publikum hin präsentiert“, sagt die jahrelang in der Fleischindustrie und im technischen Vertrieb von Milchtrockenstoffen tätige Fachfrau.

Genau diese Anfragen und Wünsche der Kunden nach gesunden, originellen und hippen Lebensmitteln, die eine nachhaltige Alternative zu den üblichen Angeboten liefern, ermöglichen Start-ups wie Jacky F. einen Platz in der hart umkämpften Foodbranche zu ergattern.

Um ihr Geschäft erfolgreich zu etablieren und über die Region hinaus zu wachsen, baut Huthmann deswegen bewusst auf Transparenz bei Herkunft und Herstellung ihres Produkts. So kauft ein Geschäftspartner, den sie aus Sri Lanka kennt, vor Ort die Früchte von Bauern ab, die damit unterstützt werden.

In der Regel verderben in Sri Lanka nämlich 70 Prozent der Früchte wegen des Überflusses noch am Baum. Die Frucht wird dort in Stücke geschnitten und in einer Salzlake mit Limettensaft in Dosen, von Huthmann für den deutschen Markt entworfen, verpackt und verschickt. Die Ökokontrollstelle der EU hat dafür ihr Bio-Zertifikat ausgegeben.

„Ich möchte Lebensmittel, die einen Mehrwert generieren“, sagt sie. Mit ihrem Start-up fördert sie so nicht nur Ökobauern vor Ort und geht zudem gegen Verschwendung vor. Mit Hilfe der in Sri Lanka vielerorts als Arme-Leute-Essen verpönten Frucht will sie die Gesellschaft insgesamt zu einem Überdenken ihres eigenen Konsumverhaltens animieren.

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