Mode im Wandel Jacke weist die Richtung

Bonn · Kleidungsstücke erhalten elektronischen Zusatznutzen: Eine Verbindung mit dem Smartphone überträgt Daten aus so genannten Wearables.

 Bereits entwickelt: Ein Babybody mit Sensoren, die den plötzlichen Kindstod verhindern sollen. FOTO: ITV DENKENDORF

Bereits entwickelt: Ein Babybody mit Sensoren, die den plötzlichen Kindstod verhindern sollen. FOTO: ITV DENKENDORF

Foto: ITV Denkendorf

Bevor man an der nächsten Ecke abbiegen muss, vibriert das rechte Schulterpolster der eigenen Jacke. Das Kleidungsstück gibt dem Träger ein Zeichen, die Richtung zu ändern. Denn das Schulterpolster ist mit dem Smartphone verbunden, auf dem der elektronische Kartendienst den Weg kennt. Das ist ein Beispiel für die Digitalisierung der Mode.

„Wearables“ werden die computerisierten Hosen, Schuhe, Mützen oder Jacken genannt. Zusätzlichen Nutzen versprechen die Hersteller und Entwickler – wobei dieser in vielen Fällen noch nicht richtig erkennbar ist. Manches sieht nach Spielerei aus. Ob man ein vibrierendes Schulterpolster zum Abbiegen wirklich braucht, muss jeder selbst entscheiden. Nützlich kann es freilich sein, weil Fußgänger und Radfahrer sich zunehmend nicht auf den Verkehr, sondern auf ihre Smartphones konzentrieren. Gibt der Kartendienst seine Kommandos via Jacke, kann dies Unfallgefahren verringern.

Besprochen wurden solche Produkte und Perspektiven am Mittwoch in Berlin bei der Tagung „Mode goes Digital“ des Verbandes Mode und Textil, in dem sich viele Unternehmen der Branche zusammengeschlossen haben. Präsidentin Ingeborg Neumann sagte, die Firmen hätten gar keine Wahl, als sich den neuen Trends anzupassen: „Digitalisiere Dein Unternehmen, oder Du hast bald kein Geschäft mehr.“

Vermeidung des plötzlichen Kindstods

In dreierlei Hinsicht müssten sich die Firmen, auch der Mittelstand, modernisieren, argumentierte Neumann. Erstens geht es um die Digitalisierung der Produktion. Stichwort ist dabei „Losgröße 1“. Soll heißen: Ein Textilhersteller wird künftig nicht mehr Tausende identische Hemden fertigen, sondern unter den Bedingungen der Massenproduktion bei jedem Einzelstück individuelle Kundenwünsche berücksichtigen müssen. Das erfordert die komplette Umstellung der Produktionsverfahren auf digitale Steuerung.

Zweitens sollen die Unternehmen, so Neumann, „smarte Geschäftsmodelle“ entwickeln. Kleidung wird später vermutlich nicht mehr überwiegend in stationären Geschäften, sondern über viele neue Kanäle verkauft. Und drittens rücken Textilien in den Mittelpunkt, die Zusatznutzen bieten, indem sie Elektronik integrieren.

Da ist zum Beispiel der Baby-Body, der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf. Der Strampelanzug für Neugeborene ist mit Sensoren ausgerüstet, die unter anderem den Herzschlag, die Atmung und die Körpertemperatur des Babys überwachen. Dadurch könne in vielen Fällen der plötzliche Kindstod vermieden werden, meinen die Entwickler.

Ein weiteres digitales Textilprodukt sind Socken, die die Gehbewegung des Fußes messen, an das Smartphone übermitteln und so dem Träger mitteilen, wenn er ungesund und gelenkverschleißend unterwegs ist. Eine andere Firma entwickelt Schuhsohlen, die durch die jeweilige Art des Auftretens unterschiedliche Signale sendet, mit denen man das Smartphone steuert, Anrufe annimmt, Musik auswählt. Die Berliner Firma ElektroCouture arbeitet unter anderem an Kleidung, bei der elektronische Werkstoffe die ästhetische Ausstrahlung steigern. Da enthalten Jacken Glasfaserbänder, die im Dunkeln leuchten.

Muss man das machen, ist so etwas wichtig? Wahrscheinlich ja, wenn die einheimische Textil- und Mode-Industrie ihre etwa 130 000 Arbeitsplätze erhalten und möglicherweise ausbauen will. Doris Möller vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag zitierte den griechischen Philosophen Aristoteles: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen.“

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