Verfahren vor dem Bonner Landgericht Hausverwalter wird Untreue vorgeworfen

Bonn · Ein 69-Jähriger soll Wohnungseigentümer um Rücklagen auf Hausgeldkonten in Millionenhöhe gebracht haben. Das Gericht lehnt Einstellung wegen Krankheit ab.

 Wohnungseigentümer sollten eine Hausverwaltung mit Sorgfalt wählen.

Wohnungseigentümer sollten eine Hausverwaltung mit Sorgfalt wählen.

Foto: picture alliance / dpa

Es ist der Tag, auf den unzählige Wohnungseigentümer in Bonn und der Region gewartet haben: Ihr früherer Hausverwalter, der sie jahrelang um Rücklagen auf Hausgeldkonten in Millionenhöhe gebracht haben soll, muss sich ab Freitag vor dem Bonner Landgericht verantworten. Doch noch bei Prozessbeginn ist unklar, ob die Verhandlung gegen den 69-Jährigen überhaupt stattfinden kann. Denn, so hatte seine Verteidigung geltend gemacht: Der 69-Jährige sei zu krank für den Prozess. Damit aber gab sich die zuständige 11. Große Strafkammer nicht zufrieden und beauftragte einen medizinischen Gutachter, der dem 69-Jährigen zumindest eine zeitweise Verhandlungsfähigkeit attestiert. Und Kammervorsitzender Thomas Stollenwerk traf weitere Vorsorge.

Er ließ den Angeklagten von einem Rettungswagen und im Beistand einer Notärztin zu Hause in Königswinter abholen. Und so bringt die Medizinerin den im Rollstuhl sitzenden 69-Jährigen in den Gerichtssaal, sitzt bis zum Ende dieses ersten Verhandlungstags an seiner Seite und überprüft zwischendurch seinen Gesundheitszustand. Denn der Prozess findet statt, nachdem auch der neuerliche Antrag der Verteidigung auf Verfahrerseinstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit vom Gericht abgelehnt wird – nach Erörterung mit einem medizinischen Gutachter, die zum Schutz des Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

Schließlich verliest Staatsanwalt Gilbert Deurer die Anklage, die auf das Jahr 2013 beschränkt ist und dem Mann auf der Anklagebank für den Zeitraum vom 3. Januar bis 19. November 2013 insgesamt 459 Fälle von Untreue vorwirft, die 108 Eigentümergemeinschaften betreffen. 1 842 365 Euro soll er in der Zeit veruntreut haben. Als der Staatsanwalt bei Fall 309 ankommt, wirkt der Angeklagte so elend, dass der Richter ihm eine Pause anbietet. Der 69-Jährige bricht in Tränen aus und erklärt: „Ich kriege sowieso nichts mit.“ Er bekommt eine Pause samt ärztlicher Untersuchung.

Der Staatsanwalt liest weiter: Der Angeklagte, der seit 1988 als Hausverwalter tätig war, kam seiner Verpflichtung nicht nach, die Gelder der jeweiligen Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) ordnungsgemäß zu verwalten und von seinem eigenen Vermögen gesondert zu halten. Stattdessen buchte er die ihm anvertrauten Gelder pflicht- und zweckwidrig auf private Konten um und verwendete sie, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken. In dieser Weise verfuhr er laut Anklage bereits seit 2009 und buchte in der Zeit bis 2012 von Konten der WEGs mehr als zweieinhalb Millionen Euro auf sein eigenes Konto, löste zunehmend Sparbücher von WEGs auf und verwendete verbliebene Sparbücher gegenüber anderen WEGs als Nachweise dafür, dass ihr Geld noch da sei. Dazu überklebte und fälschte er laut Anklage den Verwendungszweck, um die Eigentümer zu beruhigen. Die auf sein Privatkonto umgebuchten Gelder soll er zur Liquiditätsbeschaffung auf anderen WEG-Konten verwendet haben – und auch für sich selbst. Wie viel er genau für sich abzweigte, ist unklar und aufgrund des von ihm produzierten Konten-Labyrinths kaum zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft hält bisher nur für nachweisbar, dass er 2013 insgesamt 101 00 Euro in die eigene Tasche steckte.

Allerdings steht der Verdacht im Raum, dass er eine halbe Million Euro Fremdgeld an seine Frau weiterreichte, wovon sie Häuser in ihrer Heimat Griechenland erworben haben soll. Der 69-Jährige, der 2014 Insolvenz anmelden musste, hat selbst nichts mehr auf dem Konto und lebt von seiner Frau. Sollte sich der Verdacht bestätigen, müsste die Ehefrau alles herausrücken. Denn dem am 1. Juli in Kraft getreten Gesetz zur Vermögensabschöpfung zufolge muss das Gericht nun prüfen, ob der Angeklagte aus Straftaten stammendes Geld an Dritte weitergereicht hat, und es einziehen. Deshalb hat die Strafkammer die Beteiligung der Ehefrau in dem Strafverfahren angeordnet. Die nimmt jedoch nicht selbst an dem Prozess teil, sondern ist von ihrem Anwalt vertreten. Ihr droht zwar keine Strafe, aber der Verlust des Vermögens.

Einer, der diesen ersten Prozesstag mit großem Interesse verfolgt, ist Siegried Andree. Er ist einer der Wohnungseigentümer, die Geld verloren haben: Vom Konto seiner WEG verschwanden 137 000 Euro. Nun sitzt er als einziger Geschädigter im Zuschauerraum und erklärt am Rande der Verhandlung: „Es geht mir um Gerechtigkeit, ich will, dass der Täter bestraft wird.“ Und fügt hinzu: „Außerdem wollen wir unser Geld zurückhaben.“

Für den Prozess sind 22 weitere Verhandlungstage terminiert.

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