GA-Serie: Tatort Internet Einkaufstour im dunklen Netz

Bonn · Auf illegalen Online-Plattformen für Drogen werden jährlich dreistellige Millionenbeträge umgesetzt. Das deutsche Angebot ist im Vergleich zu anderen Ländern noch recht überschaubar.

 Hackerangriffe werden langsam zu einem Massenphänomen. Experten bezeichnen Cyberkriminalität als boomende effizient organisierte Industrie. Sie verursacht laut Verband Bitkom allein in Deutschland pro Jahr einen Schaden von 51 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Wirtschaftsredaktion in der Serie „Tatort Internet“ mit den unterschiedlichsten Gefahren einer stetig vernetzteren Welt.

Hackerangriffe werden langsam zu einem Massenphänomen. Experten bezeichnen Cyberkriminalität als boomende effizient organisierte Industrie. Sie verursacht laut Verband Bitkom allein in Deutschland pro Jahr einen Schaden von 51 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die Wirtschaftsredaktion in der Serie „Tatort Internet“ mit den unterschiedlichsten Gefahren einer stetig vernetzteren Welt.

Foto: sss

Es ist eine Preisliste wie aus einem Krimi: Auftragsmord 45 000 bis 300 000 Dollar, Bombenanschläge 5000 bis 40 000 Dollar, andere Gewalttaten gibt es günstiger. Besonders teure Ziele sind Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Ebenfalls extra kostet es, wenn der Mord wie ein Unfall aussehen soll. Referenzen gibt es keine, schließlich legen die Anbieter höchsten Wert auf Anonymität. Der Preis wird fällig, wenn der Auftrag ausgeführt ist. Die Anbieter dieser verstörenden Angebote werben für sich selbst mit den Bewertungen „hoch qualifiziert“ und „mit mehrjähriger militärischer Erfahrung“. Es handelt sich um eine Gruppe ehemaliger Soldaten und Söldner, die sich im Untergrund des Internets rumtreiben. Zugänglich ist die entsprechende Webseite über das so genannte Darknet – einem Teil des Internets, der nur mit Hilfe bestimmter Werkzeuge gefunden werden kann.

Auf virtuellen Marktplätzen verkaufen Kriminelle hier so ziemlich alles, was strafbar ist: Von Drogen und Waffen bis hin zu gefälschten Identitäten. Für 700 Dollar gibt es schon ein Paket aus gefälschtem Personalausweis, Reisepass und Führerschein. In einer Untersuchung haben die IT-Sicherheitsexperten von Trend Micro festgestellt, dass ein Viertel aller Webadressen im Darknet mit sexuellem Kindesmissbrauch in Verbindung stehen. Trend Micro ist ein japanisches Unternehmen, das sich selbst als weltweit führender Anbieter im Bereich IT-Sicherheit bezeichnet und ausführliche Studien dazu veröffentlicht hat.

Das Darknet ist ein Synonym für kriminelle Aktivitäten. Abschaffen? Verbieten? Trotz allem keine Lösung, findet Oberstleutnant Volker Kozok aus Meckenheim. Kozok ist Technischer Referent im Bundesministerium der Verteidigung in Bonn. Als ausgewiesener Cyber-Securitiy-Experte hält er Vorträge, pflegt Kontakte zu „guten Hackern“ und Kollegen in den USA. Kozok bewegt sich selbst im Darknet und betont die positiven Aspekte. Denn der Teil des Internets, der über Suchmaschinen nicht erreichbar ist, wurde eigentlich geschaffen, um sich unbeobachtet auszutauschen. Ein interessantes Werkzeug für Aktivisten und Journalisten aus totalitären Staaten oder Whistleblower. Wer sich mit einer bestimmten Technologie ins Darknet einwählt, hinterlässt keine Spuren. Alles ist anonym. Deshalb ist Kozok trotz der hohen Kriminalitätsrate dort ein großer Verfechter der Technologie. „Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Darknet abzuklemmen, ist die Lösung.“ Viele kriminelle Machenschaften passierten auch im „normalen“ Internet. Außerdem wäre das ein Eingriff in die Netzneutralität. „Davon das Darknet zu schließen, halte ich gar nichts.“

Das eigentliche Problem sieht Kozok nicht in der Existenz des Darknet an sich, sondern daran, dass die Geldströme nicht rückverfolgbar sind. „Die müssen kontrolliert werden.“ Im Darknet zahlen die agierenden Partner nämlich nicht mit Dollar oder Euro, sondern mit so genannten Bitcoins, einer digitalen Währung.

Für die Polizei derzeit ein großes Problem, wie Dirk Kunze, Kriminalrat beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, kürzlich beim 7. Bonner Dialog für Cybersicherheit erklärte. „Die bisherige Kriminalität verlagert sich zunehmend ins Netz.“ Und die Fälle im Bereich Cybercrime allgemein, nicht nur die, die das Darknet betreffen, nehmen deutlich zu. Den Weg der Bitcoins könne die Polizei nicht zurückverfolgen. „Wir können sie nur auf Computern sicherstellen“, erklärt Kunze. Derzeit ließen es auch die Gesetze noch nicht in ausreichendem Maße zu, bei der Verfolgung illegaler Marktplätze schnell zu reagieren. Die Ermittlungen gingen häufig zu langsam, sagt Kunze selbst. Grund seien Zuständigkeiten: Das Internet und damit auch die Kriminalität im Internet kennt keine Grenzen. Die Zuständigkeit des LKA ende jedoch zunächst an den Landesgrenzen.

Die Lage scheint schwierig. An vielen Stellen stellt Kunze selbst offene Fragen: „Wie soll Gefahrenabwehr geleistet werden, wenn alles anonym ist?“ Ein Zuhörer bringt es auf den Punkt: „Aber ich habe nach ihrem Vortrag das Gefühl, die Polizei gibt mehr Fragen als Antworten.“ NRW hat zwar seit 2011 ein Cybercrimekompetenzzentrum. Doch an den Reaktionen aus dem Publikum wird klar: Wer Opfer eines Cyberangriffs wird, gerät oft an Beamte, die sich mit dem Thema nicht auskennen.

Dazu nimmt die Zahl der illegalen Marktplätze im Darknet nicht ab, wenn einer geschlossen wird. Es sprießen immer wieder neue aus dem Boden. Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein noch recht kleiner Markt. Zu den wirklich großen Playern gehören Brasilien und Russland. Im deutschen Internet-Untergrund gibt es nach Angaben von Trend Micro zehn große Foren und mindestens zwei Marktplätze, die sich nicht nur auf den Verkauf von Crimeware spezialisiert hatten, sondern auch von Drogen, Fälschungen und anderen illegalen Waren. Die Experten zählten im vergangenen Jahr nahezu 70 000 registrierte Nutzer. Mindestens 20 000 Nutzer hatten zumindest einen Eintrag in einem deutschen Untergrundforum veröffentlicht. Das lasse auf weiteren Zuwachs schließen, heißt es. Laut einer amerikanischen Studie generierten die größten Online-Plattformen für illegalen Drogenhandel mehr als 100 Millionen Dollar Umsatz pro Jahr.

Dabei beginnt der Weg zum kriminellen Untergrund im Netz noch ganz legal. An die Orte, wo Drogen, Waffen oder gefälschte Ausweise verkauft werden, gelangen User mit einer frei verfügbaren Software. Ihr Name: TOR – die Abkürzung für „The Onion Router“. Universitäten und IT-Online-Magazine bieten das Programm zum kostenlosen Download an. Der große Vorteil der Software auch für Internetnutzer ohne kriminelle Absichten: TOR verschleiert die IP-Adresse des Nutzers und wahrt somit die Anonymität im Internet.

Kozok nutzt TOR selbst seit Jahren. Bei seinem Arbeitgeber – der Bundeswehr – sei das allerdings noch lange nicht die Regel: Noch verstünden nicht alle, wieso sie sich mit der Thematik auskennen sollten. „Uns interessieren nicht die Drogen, die im Darknet abgesetzt werden. Aber wenn es die Taliban sind, die im Darknet Drogen verkaufen und dadurch an Geld kommen, um Waffen zu kaufen, dann wird es spannend.“ Terrorgruppierungen wie der Islamische Staat machten ihre Geschäfte zunehmend mit Bitcoins.

Doch trotz der schwierigen Rückverfolgbarkeit der Aktivitäten im Darknet kommt es immer wieder zu Erfolgen der Polizei. Zu den bekanntesten Fällen gehört sicher der der illegalen Drogenplattform Silkroad, deren Betreiber in den USA saß. Kozok hat sich intensiv mit dem Fall beschäftigt, stand damals auch in Kontakt mit den Behörden in den USA, die gegen den Betreiber ermittelt hatten – und ihn letztendlich auch gefasst hatten. Ross Ulbricht wurde 2015 zu zwei Mal Lebenslänglich und noch mal 40 Jahren Haft verurteilt.

Die Anklagepunkte waren gleich mehrere: unter anderem Betrieb des Webservices Silkroad mit Angeboten im Drogenhandel, Betrieb eines kriminellen Unternehmens, Verschwörung zum Computer-Hacking und Geldwäsche. Er soll auch mehrere Morde in Auftrag gegeben haben. Mehrere Jahre jagte die Polizei hinter Ulbricht her, bis er Fehler machte. Einen entscheidenden Hinweis gab der Drogenboss der Polizei in einem Forum, wo er seine E-Mail-Adresse mit Klarnamen veröffentlichte. Ein Fauxpas, den keine Anonymisierungstechnologie wieder gut machen kann.

Im nächsten Teil geht es um Cyberattacken, die die Gesundheit bedrohen können: Wenn Hacker die Kontrolle übernehmen

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