Ein Zufallsfund sorgt für "Goldgräberstimmung"

Vor 125 Jahren stießen zwei Brüder beim Hausbau in Volmershoven auf wertvollen Blauton - Der Rohstoff trug maßgeblich dazu bei, dass sich Witterschlick zum Industriestandort wandelte

  Bei der Arbeit:  Zwei Männer lösen mit Hilfe von Druckluftspatenhämmern den Ton aus der Erde. Das Bild entstand 1984.

Bei der Arbeit: Zwei Männer lösen mit Hilfe von Druckluftspatenhämmern den Ton aus der Erde. Das Bild entstand 1984.

Foto: Henry

Alfter-Witterschlick. Es ist ein historisches Fleckchen Erde, auf dem das Haus von Peter Odenthal in Volmershoven steht. Um seine Bedeutung für die Ortsgeschichte von Witterschlick und Volmershoven/Heidgen zu ergründen, muss man aber nicht bis in die Römerzeit oder noch weiter zurückgehen.

Ein Sprung ins Jahr 1880 genügt. Vor 125 Jahren entdeckten die Brüder Johann und Joseph Braun nämlich genau an dieser Stelle wertvollen Blauton - ein Fund, der schon bald darauf den Wandel Witterschlicks zum Industriestandort einleitete. "Die Brauns sind damals auf den Ton gestoßen, als sie einen Brunnen ausgeschachtet haben. Ich sitze direkt auf der Fundstelle", sagt Peter Odenthal.

Dass Witterschlick und Umgebung mit Tonvorkommen gesegnet sind, war aber schon viel länger bekannt. Bereits Jahrhunderte zuvor existierten in der Gegend mehrere Töpfereien und Ziegeleien.

Diese griffen auf die weißen Tonschichten zurück, die relativ nah unter der Erdoberfläche zu finden waren. Bei ihrem Hausbau stießen die Gebrüder Braun etwas tiefer ins Erdreich. Und sie staunten nicht schlecht, als sie blau-grau gefärbten Ton fanden, der in seiner Konsistenz viel fester war als die höher gelegenen Tonschichten.

"Die Zwei hatten wohl in der Nase, dass das etwas ganz Besonderes sein musste. Sie trugen eine Probe zur Untersuchung nach Bonn, wo damals die Keramikproduktion florierte und großer Sachverstand vorhanden war", berichtet Manfred Braun, dessen Familie nicht direkt mit den Findern von einst verwandt ist.

Er leitet die Firma HJ Braun Tonbergbau, die sein Großvater 1911 gründete. Das Familienunternehmen und die im Westerwald ansässige Firma WBB Fuchs (früher "Fuchs'sche Tongruben") sind die beiden verbliebenen Abbaubetriebe, die heute noch rund um Witterschlick Blauton abbauen.

Der Ton, der durch eine besondere chemische Verbindung Färbung erhält und nur in wenigen Gebieten Deutschlands zu finden ist, wurde von den Experten in Bonn frühzeitig als wertvoll eingestuft.

Er zeichnet sich durch einen hohen Schmelzpunkt aus und eignet sich zur Herstellung von feuerfesten Produkten. "Diese Erkenntnis hat nach 1880 zu einer Art Goldgräberstimmung in Witterschlick geführt", so Braun.

Wie der Hauptlehrer und Heimatforscher Peter Esser in seiner 1903 erschienenen Dorfchronik berichtet, sei bereits nach den ersten Untersuchungen des Tons in der Wessel'schen Porzellanfabrik in Poppelsdorf eine große Nachfrage entstanden: "Es folgten größere Bestellungen, und nun gingen die Lieferanten auf die Suche nach weiteren Tonschichten. Zu ihnen gesellten sich bald auswärtige Spekulanten, und jetzt entfaltete sich auf der sonst so ruhigen Feldflur ein reges Leben und Treiben. Es wurden Schächte gegraben und das Feld bei Tag und Nacht auf Ton aufgebohrt. Der Betrieb wurde an verschiedenen Stellen eröffnet und die ersten Unternehmer machten dabei ein gutes Geschäft."

Diese konnten, so der Zeitzeuge Esser weiter, billig Land erwerben und den Blauton bei mäßigen Arbeitslöhnen und geringer Konkurrenz zu teuren Preisen verkaufen. Binnen weniger Jahre schnellten die Bodenpreise um ein Vielfaches in die Höhe, und von Auswärts siedelten sich immer mehr Firmen an. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts waren in Witterschlick rund 30 Unternehmen ansässig, die sich mit dem Tonbergbau befassten.

Sogar die Firma Krupp aus Essen eröffnete in dem Kottenforstort einen Betrieb. Um 1900 erwarb sie hier Ländereien. Für die Stahl- und Kohleindustrie aus dem Ruhrgebiet war der Blauton bedeutend, weil er den Rohstoff für die Ausschichtung von Schmelz- und Koksöfen lieferte.

Auch die Servais-Werke - heute als Deutsche Steinzeug Cremer und Breuer AG eine der größten Fliesenfabriken Europas - siedelten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts an. Nach den Aufzeichnungen von Esser beschäftigte das Werk damals bereits 300 Arbeiter.

Es stellte feuerfeste Produkte her, verarbeitete aber zudem den beim Abbau angefallenen Ton aus den oberen Schichten zu Fliesen und Klinkern.

Die Tonindustrie prägte Witterschlick und Volmershoven/Heidgen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Mitte der 60er Jahre lebten in den Orten rund 1000 Menschen vom Tonabbau, beziehungsweise von der Verarbeitung.

Damals wurde der Rohstoff untertage gewonnen. Überragt von Förderanlagen, führten sechs Schächte bis zu 40 Meter in die Tiefe, wo kilometerlange Stollen verliefen. Jedoch sank die Zahl der Abbaubetriebe ständig.

Teils waren die Lagerstätten ausgeschöpft, teils fehlte den Firmen der Grundbesitz, oder es standen rechtliche Einschränkungen im Wege. Die Firma Braun legte 1996 den letzten Stollen wegen Unwirtschaftlichkeit still und schaltete auf Tagebau um.

Die Abbaugenehmigung für das Gebiet westlich von Witterschlick und Volmershoven läuft noch über 15 Jahre. "Wir könnten noch Jahrzehnte weiterarbeiten", erklärt Braun, der für die feuerfeste und feinkeramische Industrie produziert. In einigen Jahren will er die Leitung des Unternehmens an seinen Sohn abgeben.

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