Folgen des Niedrigwassers Die wichtigsten Fakten zum Sprit-Engpass

Bonn · Das Jahr 2018 steuert in Deutschland auf einen neuen Dürrerekord zu. Weil auch die Schifffahrt betroffen ist, kann es an Tankstellen zu Engpässen kommen. Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Fragen und Antworten zum Thema.

Es ist für manchen Autofahrer eine ganz neue Erfahrung: An der gewohnten Tankstelle gibt es den gewünschten Sprit nicht. Schuld ist der Rhein, genauer: dessen Niedrigwasser. Fragen und Antworten.

Was hat das Wasser im Rhein mit der Spritversorgung an den Tankstellen zu tun?

Ein beträchtlicher Teil des Kraftstofftransportes erfolgt mit Rheinschiffen. Wegen des anhaltend niedrigen Wasserstandes in diesem Jahr können Tankschiffe derzeit nur noch etwa ein Drittel der normalen Benzin- oder Dieselmenge laden. Ein voll beladenes Tankschiff kann nach Angaben von Shell etwa so viel transportieren wie 80 Tanklastwagen.

Wie ist derzeit der Pegelstand des Rheins?

So niedrig wie seit Jahren nicht. Nachdem der Pegel vergangenen Mittwoch in Bonn bis auf 123 Zentimeter gestiegen war, lag er am Montagmittag wieder bei 95 Zentimetern, Tendenz weiter fallend. In Köln fiel er von 117 auf 82 Zentimeter, in Düsseldorf von 70 auf 40 Zentimeter. In der Fahrrinne lag die Wassertiefe damit in Bonn bei 204 Zentimetern, in Köln bei 193 Zentimetern.

Was muss passieren, damit der Rheinpegel auf ein Normalmaß steigt?

„Es müsste in Süddeutschland zwei Wochen lang richtig regnen“, sagt Matthias Habel, Sprecher von Wetteronline aus Bonn. Allerdings dürfe der Regen nicht unwetterartig werden, damit es nicht zu Hochwasser komme. Denn die trockenen Böden könnten derzeit nicht viel Wasser aufnehmen. Der Rhein werde in den Sommermonaten vor allem durch Gletscherschmelzwasser aus der Schweiz gespeist. Doch das höre im September auf. Dann sei der Rhein auf Regenwasser angewiesen, um den Pegel zu halten.

Wie wird sich das Wetter entwickeln?

Für die nächsten Tage ist kaum Regen in Sicht, sagt der Wetteronline-Sprecher. In den nächsten fünf Tagen seien vielleicht zehn Liter pro Quadratmeter in den entscheidenden Regionen Süddeutschlands absehbar. „Das bringt dem Rhein überhaupt nichts.“

Geht also den Tankstellen der Sprit aus?

„Diese Gefahr besteht nicht, da die Wirtschaft auf andere Transportwege wie die Schiene oder auf Tanklastwagen ausweichen kann“, erklärt Alexander von Gersdorff, Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbandes in Berlin. „Eine dauerhafte Gefahr für die Versorgung sehe ich nicht, eine Entspannung der Lage ist derzeit aber auch nicht in Sicht.“ Ein Grundproblem sei allerdings, dass es nicht genug Ersatzkapazitäten gebe. Deshalb könne es hier und da vorübergehend zu Engpässen kommen. Der Verband hat sich deshalb für eine vorübergehende Aufhebung der Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen eingesetzt.

Sind auch andere Mineralölprodukte betroffen?

Lieferprobleme durch das Niedrigwasser kann es auch bei Heizöl oder bei Kerosin für Flugzeuge geben. Betroffen sind auch Produkte für die chemische Industrie.

Wie reagieren die Tankstellen?

„Wenn an der Tankstelle neben mir der Sprit ausgeht, weiß ich, dass gleich alle zu mir kommen“, beschreibt Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbandes Freier Tankstellen mit Hauptsitz in Bonn, die Lage seiner Mitgliedsunternehmen. Alle Tankstellen versuchten derzeit, sich durch ausgeklügelte Logistikprozesse mit möglichst viel Treibstoff zu versorgen. So kenne er eine Tankstelle in der Region, die sich aus Lüttich per Tankfahrzeug versorgen lasse. Frankfurter Tankstellen wiederum würden aus Bremen versorgt. Bei den längeren Fahrten müsse dann natürlich darauf geachtet werden, dass die Lenkzeiten der Fahrer nicht überschritten werden.

In welcher Situation sind die Raffinerien?

An Rohöl fehlt es den Raffinerien nicht. Das kommt meist per Pipeline, so auch zur Rheinland-Raffinerie von Shell in Godorf und Wesseling. Die Engpässe entstehen beim Abtransport des produzierten Heizöls, Benzins und Diesels. 34 Prozent der Ware werden bei Shell normalerweise per Tankschiff abtransportiert. Jetzt versucht man bei Shell, stärker auf Tanklaster zu setzen. An den Raffinerien entstehen Warteschlangen. Die Wege zu den Tankstellen sind oft länger, was auch die Transportkosten verteuert.

Wenn genug Mineralölprodukte auf dem Markt sind, warum hilft es dann, dass die Bundesregierung größere Mengen Benzin, Diesel und Kerosin aus der nationalen Ölreserve freigegeben hat?

Es ist unter anderem eine Frage der Verteilung. Die Lager der nationalen Ölreserve sind über das ganze Land verstreut, die Vorräte sind also dort, wo sie gebraucht werden. Lange Transportwege entfallen. Eigentlich ist die nationale Ölreserve dazu gedacht, im Notfall eine schnelle Versorgung für mindestens 90 Tage sicherzustellen.

Wäre aus Sicht der Tankstellen eine weitere Freigabe aus der staatlichen Ölreserve sinnvoll?

Da südlich von Koblenz die Versorgungslage noch kritischer sei, würde Stephan Zieger für diese Region eine weitere Öffnung der Erdölreserve begrüßen. Nicht überall könne man die Versorgung mit Tanklastern derzeit sicherstellen. Außerdem werde derzeit ein großer Anteil der Reserve als Rohöl gespeichert. Davon gebe es aber genug. Deshalb müsse die Politik langfristig darüber nachdenken, ob mehr Fertigprodukte, also Benzin, Diesel oder Heizöl, gelagert werden sollten, um die Bevölkerung schnell versorgen zu können.

Früher fuhren die Niederländer nach Deutschland, um günstig zu tanken, jetzt ist es umgekehrt. Warum sind unsere Nachbarn wie Holland, Belgien oder Luxemburg von dem Nachschubproblem nicht betroffen?

Weil sie andere Versorgungssysteme haben, so von Gersdorff. Dort erfolgt der Transport über Pipelines, Tanklastwagen oder Kesselwagen. Dass der Rhein als Transportweg eine so entscheidende Rolle spiele wie in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, sei schon etwas Besonderes.

Ist es schon öfter vorgekommen, dass Tankstellen nicht beliefert werden können?

Ungewöhnlich ist es laut von Gersdorff nicht: „Zu Ausfällen kommt es immer wieder.“ Oft sind Schnee und Eis die Ursache für Lieferprobleme. 2011 war es ein hausgemachtes Problem der Energiekonzerne, das vereinzelt zu Engpässen bei Superbenzin führte: Mit der Einführung des Kraftstoffes E10 hatten die Tankstellen ihre großen Vorratsbehälter mit dem neuen Bio-Kraftstoff gefüllt statt mit Standard-Super, doch den wollten die Verbraucher nicht haben.

Sind die Preiserhöhungen gerechtfertigt?

Der ADAC meint: Nein. Rohöl sei im Vergleich zu Anfang Oktober um rund 20 Prozent günstiger geworden, aber der Sprit sei so teuer wie seit Jahren nicht. „Der Verdacht liegt nahe, dass die Mineralölkonzerne die Versorgungsschwierigkeiten vorschieben, um ihre Marge zu erhöhen“, sagte der Sprecher.

Benzinpreise in Deutschland

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