Bonn macht erfinderisch - Folge 8 Applaus für jede Pleite

Köln/Bonn · Auf sogenannten Fuck-up-Nights erzählen Gründer über ihre Rückschläge, Pleiten und Pannen. Damit wollen sie in Deutschland eine neue Fehlerkultur etablieren. Denn obwohl neun von zehn Start-ups scheitern, fehlt in Deutschland die Akzeptanz für Gescheiterte. Ein Bonner will die Fuck-up-Nights deshalb in seine Stadt bringen.

Scheitern kann so hip sein. Scheinwerfer erhellen im Halbdunkel eines Backsteingewölbes unter einer Eisenbahnbrücke eine Bühne. Ein Sofa, eine Stehlampe und ein Sessel stehen dort. Die Wuppertaler Band Bilstein & Dunkel spielt Akustikpop. Einige Hundert Besucher nippen an Bier und Mate-Limonade, wippen zur Musik, halten Smalltalk. Die eigentlichen Stars im Kölner Szenelokal Club Bahnhof Ehrenfeld sind aber vier Gründer, die mit ihren Start-ups gescheitert sind. An diesem Mittwochabend erzählen sie ihre Geschichten vom Scheitern auf der achten Kölner Fuck-up-Night.

Der Name ist Programm. An diesem Abend dreht sich alles um gescheiterte Jungunternehmer. Anna Yona erzählt von ihrem Start-up Wildling Shoes und ihrer größten Panne. Die Unternehmerin aus Gummersbach hatte für ihr im Mai 2015 gegründetes Start-up per Crowdfunding-Kampagne 75.000 Euro eingesammelt, um einen Schuh herzustellen, der Kindern das Gefühl gibt, barfuß zu laufen. 1500 Vorbestellungen waren eingegangen. Dann kam der Schock. Ein unter die Sohle eingefügtes Material reagierte mit dem Kleber und färbte ab. Das Ergebnis: blaue Füße und fehlerhafte Produkte im Wert von 60.000 Euro. „Es war, als hätte man Tinte ausgekippt“, sagt Yona. „Der Traum, auf den man hingearbeitet hat, geht in Rauch auf“, sagt sie. Am Ende geht die Geschichte für Yona noch glimpflich aus. Sie kann viele Schuhe mit Rabatt trotzdem verkaufen.

Wer seine Firma in den Sand gesetzt hat, redet meist nicht gerne darüber. Schade eigentlich, dachten sich vor vier Jahren zwei junge Gründer in Mexiko. Die Idee der Fuck-up-Nights war geboren. Seitdem hat sich das Konzept rasant verbreitet und findet in 150 Städten weltweit Nachahmer. In Deutschland gibt es unter anderem Veranstaltungen in Frankfurt, Leipzig, Hannover, Berlin, Köln und Hamburg.

Steuerschock und ein Haufen Schulden

In Bonn ist es hingegen nicht leicht, Gründer zu finden, die über ihr Scheitern reden. Das ist mit ein Grund dafür, dass Johannes Mirus das Konzept der Fuck-Up-Nights zusammen mit dem Bonner Blogger Thomas Piekarczyk nach Bonn holen will. In Zusammenarbeit mit dem Digital Hub will er ab nächstem Jahr die Veranstaltungsreihe auch nach Bonn bringen. Noch sucht Mirus dafür allerdings Räumlichkeiten. „Ich habe das Konzept vor über einem Jahr das erste Mal kennengelernt und fand es auf Anhieb sehr charmant“, sagt er. „Es geht darum, Menschen Mut zu machen, etwas zu wagen – und zu zeigen, dass man dabei scheitern darf.“ Den Mut hätte Mirus, der sich letztes Jahr als Digitalberater selbstständig gemacht hat, vor 15 Jahren selbst gut gebrauchen können. 2002 hatte Mirus seinen Job als Programmierer gekündigt und eine eigene Webagentur gegründet. Doch schon Ende 2002 ging es mit dem Unternehmen bergab, die Aufträge blieben aus. „Es war ein Fehler, einfach den Job zu kündigen“, sagt Mirus heute. „Wir waren zu schlecht vorbereitet und hatten von heute auf morgen kein Einkommen mehr.“

Dann kam zum Jahresende auch noch der Steuerschock hinzu. Mirus sollte mehrere Tausend Euro an das Finanzamt nachzahlen. „Die Schulden wurden immer mehr und uns fehlte das Geld für die laufenden Kosten.“ Mirus versuchte, dagegenzuhalten, beschäftigte sich mit Gesellschaftsformen, Betriebswirtschaft und Kundenakquise. „Zuerst denkst du blauäugig, dein Unternehmen wird ein Selbstläufer“, sagt Mirus. „Doch dann lernst du, dass du Hundert Leute anrufst und dabei vielleicht ein Auftrag bei rauskommt.“ Am Ende reicht es trotzdem nicht. Mirus nimmt Mitte 2003 aus der Not heraus einen neuen Job an und bleibt mit einem Haufen Schulden zurück.

Neun von Zehn Start-ups scheitern

In Deutschland scheitern neun von zehn Start-ups. Trotz dieser Quote wollen nur ein Viertel der Gründer laut Start-up-Monitor des Bundesverbands Deutsche Startups nach ihrem Scheitern wieder zurück in einen Angestellten-Job. Sie wollen es lieber noch einmal als Selbstständige versuchen. Bei Johannes Mirus hingegen dauerte es, bis er den Mut für einen zweiten Anlauf fand. „Diese Erfahrung hat mich 15 Jahre daran gehindert, es wieder zu probieren“, sagt er. Der Verschwiegenheitskultur in Deutschland gebe er eine gewisse Mitschuld.

Das Schweigen brechen, eine andere Fehlerkultur pflegen, aus den Pannen anderer Lernen sind die erklärten Ziele der Fuck-Up- Nights. Als Vorbild gilt häufig die Fehlerkultur in den USA. Joshua Cohen, der als Berater kleine Start-ups und große Unternehmen betreut, kennt die Unterschiede im Umgang mit Fehlern dies- und jenseits des Atlantiks nur zu gut. Der US-Amerikaner pendelt zwischen Amerika und Deutschland und hat selbst schon ein Start-up während der Dotcom-Blase in den Sand gesetzt. „Deutsche haben Angst vor dem Risiko und wollen es um jeden Preis vermeiden“, sagt er. Dabei seien Rückschläge die Regel. In Amerika würden gescheiterte Gründer deshalb in einem anderen Licht gesehen, aus deren Erfahrungen andere lernen könnten. „Es geht eben nur so. Um Fehler zu vermeiden, musst du aus Fehlern lernen – aus deinen eigenen oder denen der anderen“, sagt Cohen. „Fall hin und steh wieder auf, so ist das Leben nun einmal“, sagt Cohen.

Risikobereitschaft ist Teil der amerikanischen Kultur

„Fehler sind in den USA stärker Teil des Erfolgssystems“, meint die Vizepräsidentin Patricia Sauerbrey-Colton des Wirtschaftsinstituts Rheingold USA. „Erfolgsstorys sind oft Geschichten des Scheiterns, die am Ende durch eine positive Wendung von Erfolg gekrönt wurden.“ Risikobereitschaft und das damit in Kauf genommene Scheitern seien Teil der amerikanischen Kultur. Den amerikanischen Traum könne nur leben, wer bereit sei, ihn auch hartnäckig zu verfolgen. „Deutsche sind stabilitätsliebender. Sie möchten einmal Erreichtes wahren und sind andererseits auch zufriedener mit teils kleineren Erfolgen.“

Für Johannes Mirus steht fest, dass es eine neue Fehlerkultur auch in Bonn braucht. „Vor einem Jahr in der Gründungsphase meines jetzigen Projekts hätte ich mich nicht getraut, über mein Scheitern zu sprechen.“ Zu groß sei die Angst gewesen, potenzielle Auftraggeber damit abzuschrecken. „Genau diese Verschwiegenheitskultur müssen wir aufbrechen“, sagt er.

Start-ups und kreative Ideen: Die Gründerszene in der Region beleuchten die GA-Volontäre in der GA-Serie „Bonn macht erfinderisch“ zweimal die Woche bis zum Ende des Jahres. Am Samstag, 17. Dezember, erzählen uns Gründer, was es heißt, plötzlich Chef zu sein. Anschließend werfen wir einen Blick auf Start-ups in der Lifestyle-Branche und schauen uns an, wie international der Gründergeist in Bonn ist.

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