Zuckerindustrie in Jülich 900 Lkw-Ladungen Zuckerrüben am Tag

Jülich · Später als sonst hat in diesem Jahr die Rübenkampagne angefangen. Grund war die lange Hitzeperiode. Beim Zuckerhersteller Pfeifer & Langen ist die Produktion in vollem Gang.

 Erklärt die Technik: Mitarbeiter Ulrich Jansen.

Erklärt die Technik: Mitarbeiter Ulrich Jansen.

Foto: Martin Wein

Gefräßig schluckt die riesige Vorwaschtrommel haufenweise erdfeuchte Zuckerrüben aus dem Schwemmkanal, schleudert sie im Kreis herum und gießt die von Steinen und Erde befreiten Knollen in einen weiteren unterirdischen Kanal in Richtung der eigentlichen Zuckerfabrik. Wie an den Standorten in Appeldorn und Euskirchen läuft beim Kölner Zuckerhersteller Pfeifer & Langen auch am Stadtrand von Jülich im Kreis Düren die derzeit aktuelle Rübenkampagne auf vollen Touren.

„Aufgrund der langen Hitze haben wir hier zwei Wochen später angefangen als üblich“, erklärt Ulrich Jansen aus dem Unternehmens-Marketing. So konnten die Rüben in der Rheinischen Bucht noch etwas länger im Boden reifen. Erst seit Anfang Oktober laufen die Bänder um die aktuelle Ernte zu Weißzucker zu verarbeiten. Die 210 Mitarbeiter in Düren sind dazu wohl noch bis Weihnachten im Vier-Schicht-Betrieb beschäftigt. Alles muss nun schnell gehen. Denn bleiben die Rüben, die von Frankreich bis Polen ideale Wuchsbedingungen finden, zu lange im Boden, verbrauchen sie ihren eigenen Zucker.

Zwischen 800 und 900 Lkw am Tag sind nötig, um die Fabrik mit frischen Rüben zu versorgen. Das Chaos vergangener Tage, als Traktoren mit manchmal überladenen Anhängern wochenlang die Zufahrtsstraßen blockierten, gibt es dabei nicht mehr. Spediteure liefern die vorgereinigten Rüben just in time. Nur für die Wochenenden wird ein Vorrat von 35 000 Tonnen aufgehäuft, damit die Fabrik nie leerläuft. „Das wäre sehr kostspielig, zeit- und energieaufwändig“, sagt Gästebetreuer Peter Wilden.

Zuckerkocher ist ein Ausbildungsberuf

Um den Rüben ihre 20 Prozent Saccharose zu entziehen, betreibt Pfeifer & Langen streng genommen vier Fabriken an einem Ort. Ein Blockheizkraftwerk liefert die nötige Energie von insgesamt 23 Megawatt. Eine Brennerei produziert Kalk, der zum Reinigen des Zuckersaftes nötig ist. Und eine Abwasserbehandlung bereitet das Prozesswasser soweit auf, dass es in die Produktion zurückfließen oder über einen Vorfluter in die Rur abgegeben werden kann.

Auch die eigentliche Verarbeitung der Rüben selbst ist ein komplexes Verfahren, der Zuckerkocher ein anerkannter Ausbildungsberuf. Nach mehreren Reinigungsschritten werden die schweren Rüben von rotierenden Messern in pommesförmige Schnitzel zerschnitten. Danach schaufelt eine Schnecke sie von unten in den haushohen Extraktionsturm, während von oben heißes Wasser einströmt. So diffundiert der Rohsaft aus den Rübenzellen. Basische Kalkmilch aus der eigenen Produktion löst aus diesem Rohsaft dann viele Schwebstoffe und verhindert, dass der Zweifach-Zucker zu Glucose und Fructose zerfällt. Riesige Filterpressen in der Form umgedrehter Kerzen trennen dann den Kalk vom entstandenen Dünnsaft.

In mehreren Stationen zu Dicksaft eingedampft, wachsen schließlich in großen Zentrifugen – den Kochapparaten – die Zuckerkristalle in der gewünschten Größe heran. Dieser Weißzucker geht vor allem an die Industrie. Der Haushaltszucker wird noch mehrfach aus der überschüssigen Zuckerlösung raffiniert und hat damit einen besonders hohen Reinheitsgrad. In Silotürmen wird die Rohware eingelagert.

EU-Zuckerverordnung regelt Quoten und Preise

Schon bei der Abgabe von Rüben-Saatgut an die Vertragsbauern müssen die Zuckerhersteller wissen, wie viel Zucker sie im Herbst für das Folgejahr benötigen. Ein komplexes Regelwerk, die EU-Zuckermarktordnung, regelte deshalb bis 2017 Quoten und Mindestpreise. Groß waren die Ängste in der Branche, Anbieter aus Übersee könnten jetzt mit Rohrzucker den EU-Markt überschwemmen. Doch der Transport ist teuer und die in großen Frachtern angelieferte Ware muss in Europa komplett eingeschmolzen und raffiniert werden, um hiesige Hygiene- und Lebensmittelstandards zu erfüllen. Das geht kaum kostendeckend. Zudem ist die Rübenverarbeitung so optimiert, dass alle anfallenden Bestandteile verwertetet werden: Blätter und Wurzeln als Gründünger, die ausgelaugten Schnitzel als Viehfutter-Pellets, der Kalk für die Böden und die Melasse unter anderem zur Hefeproduktion.

Von Untergangsstimmung ist in Jülich deshalb nichts zu spüren. Im Gegenteil sei eher offen, ob die Rüben in diesem Jahr ausreichen, berichtet Jansen. Geschäftigkeit herrscht dennoch nicht. In den Produktionshallen ist kaum ein Mitarbeiter unterwegs. Wenige Experten überwachen die Anlagen von der zentralen Leitwarte aus. Nur für Störfälle stehen Schlosser, Elektriker sowie Mess- und Regeltechniker bereit. Wenn zum Jahresende die Kampagne ausläuft werden sie den Aufbau einer Verpackungsanlage aus dem Standort Elsdorf in Düren vorbereiten.

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