Arbeitsbedingungen in Indien „Mädchen werden wie Sklavinnen gehalten“

Bonn · Tirupur heißt die Hauptstadt der Textilproduktion im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Sie ist bekannt als Stadt des T-Shirts. Eine halbe Million Menschen arbeiten dort in den Textilfabriken. Expertinnen berichteten in Bonn über den Alltag in indischen Spinnereien mit langen Tagen, wenig Geld und Telefonaten unter Aufsicht.

 Berichten über Zustände in indische Spinnereien: Mary Viyakula (links) und Anibel Ferus-Comelo. FOTO: WESTHOFF

Berichten über Zustände in indische Spinnereien: Mary Viyakula (links) und Anibel Ferus-Comelo. FOTO: WESTHOFF

Foto: Benjamin Westhoff

Die Bonnerin Gisela Burckhardt hat Spinnereien im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu besucht und sich mit Arbeiterinnen unterhalten. „Junge Frauen werden dort wie Sklavinnen gehalten“, sagt die Vorsitzende des Vereins Femnet, der sich für die Arbeitsbedingungen von Frauen weltweit einsetzt. Die Camp-Arbeiterinnen seien zwischen 14 und 18 Jahre alt. Häufig stammten sie aus der Kaste der Dalits, der Unberührbaren. Vermittler würden gezielt durch ländliche Gebiete reisen und arme Familien ansprechen. Die Mädchen würden von zu Hause mit dem Versprechen auf einen guten Job und gute Bezahlung weggelockt.

„Viele der Mädchen werden in einfachen Hostels auf dem Fabrikgelände untergebracht“, berichtet Mary Viyakula. Sie ist Mitarbeiterin der Nichtregierungsorgsanisation Save (Social Awareness & Voluntary Education) in Tamil Nadu. Meist müssten die Arbeiterinnen auf dem Boden schlafen. Sie dürften kein Handy haben und nur einmal in der Woche unter Aufsicht mit der Familie telefonieren. Überwiegend würden die jungen Frauen für drei Jahre zur Arbeit in den Spinnereien verpflichtet. „In dieser Zeit bekommen die Frauen nur ein kleines Taschengeld“, sagt Burckhardt, die sich mit Femnet im Bündnis Clean Clothes Campaign (CCC) engagiert. Die CCC ist ein Netzwerk aus 20 Trägerorganisationen.

Die Camp-Arbeiterinnen müssten oft deutlich länger als die zulässigen 60 Wochenstunden arbeiten, berichtet Viyakula. Am Ende der Arbeitszeit, die nur selten durch Verträge geregelt sei, gebe es eine Prämie – oft nur wenige hundert Euro. Halte ein junges Mädchen die Vertragszeit mit diesen Arbeitsbedingungen nicht durch, habe sie nicht immer einen Anspruch auf Auszahlung der Prämie. Schätzungen zufolge sind rund 120 000 Frauen diesen Arbeitsbedingungen unterworfen. Gemeinsam mit indischen Expertinnen ist Burckhardt auf einer Rundreise durch Deutschland, um auf die Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Unterstützt wird dies von Engagement Global im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, dem Hilfswerk Misereor und der GLS Treuhand. Anibel Ferus-Comelo hat die Studie „Die moderne Sklaverei in Indiens Spinnereien“ im Auftrag der indischen Nichtregierungsorganisation Cividep und Femnet geschrieben. „Die Firmen zahlen den Mädchen einen Lohn, der noch nicht einmal dem Mindestlohn für Auszubildende entspricht“, berichtet die Soziologin. „Angestellte werden einfach entlassen, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren wollen“, sagt Burckhardt.

Vor drei Jahren stürzte eine Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein und begrub viele Näherinnen an ihrem Arbeitsplatz. Seitdem ist international viel über mehr Sicherheit und bessere Löhne für Textilarbeiter gesprochen worden. In Deutschland wurde das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Initiator ist das Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung. Das Textilbündnis richtet sich an Unternehmen der Textilwirtschaft, an Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Zertifizierungsunternehmen, Verbraucherverbände und Nichtregierungsorganisationen. Wie Ferus-Comelo festgestellt hat, werden die Spinnereien dabei häufig noch nicht betrachtet. Ihre Forderung: Textilfirmen sollten nicht bei Spinnereien einkaufen, die Camp-Arbeiterinnen einsetzen. Deshalb müssten alle Zulieferer für eine Textilfabrik veröffentlicht werden. Nur durch Transparenz könne eine Verbesserung erreicht werden.

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