Interview mit Christian Lindner über Scheitern „Lasst euch nicht einschüchtern!“

Christian Lindners Wutrede im Düsseldorfer Landtag hat vor zwei Jahren hohe Wellen in Deutschland geschlagen. Damit hatte er auf hämische Zurufe reagiert, die sich über sein Scheitern als Unternehmer lustig machten. Heute spricht er über sein eigenes Scheitern, deutsche Fehlerkultur und seinen Ärger über hämische Zwischenrufe.

Hierzulande gilt es als Tabu, über das eigene Versagen zu sprechen. Was bedeutet das für Deutschland?

Christian Lindner: Wer Angst vor dem Scheitern haben muss, meidet jedes Risiko. Wer das Risiko meidet, klammert sich ängstlich an das Bestehende. Wenn unser Land Fortschritt will, dann sollten wir uns eine andere Mentalität zulegen. Scheitern ist keine Schande. Einen Fehler einzugestehen erst recht nicht. Es ist besser, jemand unternimmt etwas, als dass er etwas unterlässt. Wer sich bemüht, verdient Anerkennung – und wenn es daneben geht, eine helfende Hand.

Sie haben nach hämischen Zurufen im NRW-Landtag mit Ihrer Wutrede einen Nerv getroffen. Was ärgert Sie?

Lindner: Mich ärgert, wenn über risikobereite Menschen leichtfertig geurteilt wird. Nichts gegen den öffentlichen Dienst, ich möchte ja selbst wieder in den Bundestag. Aber aus gesicherten Positionen den Daumen über Leute senken, die sich im Markt etwas aufbauen, das geht nicht. Mein Rat an junge Unternehmer ist: Lasst euch davon nicht einschüchtern. Es ändert sich bereits etwas in unserem Land. Diejenigen, die mit Häme und Spott beim Scheitern oder mit Neid im Erfolgsfall reagieren, dürfen euch nicht abhalten, eure Träume anzugehen.

Braucht Deutschland eine andere Fehlerkultur?

Lindner: Ja, ganz dringend. Menschen, die hingefallen sind und wieder aufstehen, verdienen Respekt. Warum wagen wir nicht öfter einmal ein Experiment? Deutschland ist stark geworden durch Beständigkeit und Perfektionismus. Aber in Zeiten neuer und noch nicht vollständig entwickelter Technologien müssen wir die Dinge eben auch mal experimentell angehen. Auch in der Politik wird man in hochkomplexen Gesellschaften nicht jedes Problem zu hundert Prozent lösen. Lieber etwas zu 80 Prozent machen und dann im nächsten Schritt die 20 Prozent, die liegen geblieben sind, noch korrigieren.

Und wenn es dann trotzdem nicht klappt, wie scheitert man richtig?

Lindner: Man darf sich nicht abschrecken lassen und muss den nächsten Anlauf wagen. Ludwig Erhard war ein zunächst gescheiterter Unternehmer. Aber dann ein hoch erfolgreicher Wirtschaftspolitiker und Vater des Wirtschaftswunders. Wenn es in einem Bereich nicht klappt, dann vielleicht in einem anderen.

Würden Sie trotz Ihrer Erfahrung, gescheitert zu sein, heute noch einmal gründen?

Lindner: Was heißt trotz? Ich war sieben Jahre erfolgreich selbstständig und habe von meinem 18. Geburtstag an meinen Lebensunterhalt selbst bestritten. Dass ich nicht nur unternehmerische Erfolge hatte, sondern ein Projekt scheiterte, gehört zum Leben und bringt einen charakterlich weiter.

Sogenannte Fuck-up-Nights erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Sehen Sie hierzulande einen Wertewandel?

Lindner: Ja, da passiert etwas. Eine wachsend große Gruppe will sich nicht mehr abfinden mit unserem Status-quo-Denken, mit dieser deutschen Zögerlichkeit und Skepsis. Im Ausland ist der Ausdruck „German Angst“ zu einem Begriff geworden. Wir müssen selber unser Leben anpacken und nicht in Watte verpackt werden von einem Wohlfahrtsstaat, der einem alle Lebensentscheidungen abnimmt. Ich bin froh, dass es immer mehr Fortschrittsbeschleuniger in unserem Land gibt und nicht nur Pessimisten.

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