VW versucht nach Machtkampf den Neustart

Hannover · Europas größter Autobauer Volkswagen steht nach dem erbitterten Machtkampf in seiner Führungsspitze und dem Rücktritt von Chefkontrolleur Ferdinand Piëch vor einer Neuausrichtung.

 Martin Winterkorn (l) und Wolfgang Porsche bei der VW-Hauptversammlung in Hannover. Foto: Julian Stratenschulte

Martin Winterkorn (l) und Wolfgang Porsche bei der VW-Hauptversammlung in Hannover. Foto: Julian Stratenschulte

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"Hinter uns liegen - vorsichtig gesagt - bewegte Tage", sagte Vorstandschef Martin Winterkorn am Dienstag in Hannover auf der Hauptversammlung. Der Konzern sei nun "in ruhigerem Fahrwasser unterwegs", der Fokus liege wieder auf dem Geschäft. Dabei stehen absehbar strategische Weichenstellungen an, die Volkswagen sowohl personell als auch in seinen Strukturen und Arbeitsweisen tiefgreifend verändern dürften.

Bei dem Aktionärstreffen fehlte erstmals seit über einem Jahrzehnt an der Aufsichtsratsspitze der langjährige VW-Patriarch Ferdinand Piëch. Er war Ende April als Verlierer des Machtkampfes zurückgetreten.

Piëch hatte die Führungskrise bei VW mit dem Versuch einer Demontage Winterkorns ausgelöst. Doch der Betriebsrat, das Land Niedersachsen als VW-Ankeraktionär sowie die Großaktionäre der Familie Porsche hatten zu Winterkorn gestanden. Die Familien Porsche/Piëch halten die Stimmenmehrheit am VW-Konzern. Zusammen mit dem langjährigen früheren Vorstandsvorsitzenden und späteren Aufsichtsratschef Piëch war auch dessen Ehefrau Ursula Ende April als Kontrolleurin zurückgetreten.

Winterkorn würdigte Piëchs Verdienste um Volkswagen: "Dieser Konzern und seine Menschen - und auch ich - haben Herrn Dr. Piëch sehr viel zu verdanken." Piëch habe die Automobilindustrie in den vergangenen fünf Jahrzehnten grundsätzlich geprägt wie kein Zweiter - als Unternehmer, als Ingenieur und als "mutiger Visionär".

Der VW-Chef sieht die Geschäftsbasis nicht beschädigt. "Es gab in den letzten Wochen unzählige Interpretationen, Spekulationen und leider auch Übertreibungen", sagte Winterkorn. "Sie als unsere Anteilseigner müssen wissen: Volkswagen ist ein kerngesundes, gut aufgestelltes Unternehmen. Ein Unternehmen mit sehr guten Geschäftsergebnissen und mit mindestens genauso guten Zukunftsperspektiven."

Auch der kommissarische VW-Aufsichtsratschef Berthold Huber würdigte Piëchs Leistungen. "Piëch hat sich außerordentliche Verdienste um Volkswagen und die gesamte Automobilindustrie erworben", sagte der frühere IG-Metall-Chef unter dem Beifall der Aktionäre.

Bei der Suche nach einem neuen Chefaufseher will sich Volkswagen Zeit lassen. Man werde "nichts überstürzen", sondern mit Ruhe und Umsicht agieren, sagte Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufseher Stephan Weil (SPD). Laut Huber fällt bei der obligatorischen Aufsichtsratssitzung im Anschluss an die Hauptversammlung keine Entscheidung zur Nachfolge: "Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen."

Weil nannte den Rücktritt Piëchs einen "Einschnitt" in der Geschichte von VW. Auch er betonte dessen große Verdiente um den Autobauer. Für Piëch und seine Ehefrau waren Louise Kiesling und Julia Kuhn-Piëch in das Kontrollgremium nachgerückt. Beide sind Ferdinand Piëchs Nichten. Die beiden Frauen stellten sich am Dienstag den Aktionären vor.

Eine Wahl durch die Hauptversammlung ist für die Nachrückerinnen nicht nötig. Das Amtsgericht Braunschweig hatte sie per Beschluss als Ersatz bestellt. Sie brauchen nun die Amtszeit des zurückgetretenen Ehepaars Piëch auf - diese reicht noch bis zum Frühjahr 2017.

Der niedersächsische Regierungschef sagte zu der versuchten Demontage Winterkorns durch Piëch, es sei eine "Klärung" notwendig gewesen: "Wir alle haben die Situation nicht haben wollen, mussten aber damit umgehen." Einen nachhaltigen Image-Schaden für VW sieht Weil nicht.

Aktionäre kritisierten die Führungsdebatten bei VW. Der Machtkampf sei "schrecklich unprofessionell" gewesen, sagte der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Ulrich Hocker. Auch andere Aktionäre forderten, bei VW müsse nun wieder Ruhe einkehren.

Man wisse um die Aufgaben, sagte Winterkorn. "Und wir haben sie längst angepackt." Dazu zählen die renditeschwache Kernmarke VW rund um die Modelle Golf und Passat, ein fehlendes "Budget Car" als billiges Einstiegsmodell in Schwellenländern und das angeschlagene US-Geschäft. VW habe die Probleme in den USA erkannt und wolle dort nun in die Offensive gehen, sagte Winterkorn. "Dafür stehe ich."

Auch zur Dezentralisierung seiner Führung unternimmt Volkswagen nun erste sichtbare Schritte. Dafür bündelt der Konzern sein schweres Nutzfahrzeug-Geschäft mit den Töchtern MAN und Scania in einer eigenständigen Holding. Die neue Dachgesellschaft für die Lkw und Busse im VW-Konzern erhält einen eigenen Aufsichtsrat, in dem die Arbeitnehmer nach Konzernvorbild ein gewichtiges Wort mitreden. Die Pläne für die Holding sind schon seit längerer Zeit bekannt.

Der Umbau in der Nutzfahrzeug-Sparte könnte dabei als Blaupause für weitere Teile des Konzerns dienen. "Wir brauchen klare Strukturen, um in den einzelnen Bereichen schnell und flexibel handeln zu können", forderte Betriebsratschef Bernd Osterloh. Von der neuen Holding verspricht sich VW eine "engere Vernetzung der Marken, kürzere Entscheidungswege und mehr Tempo in der Umsetzung".

Laut Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Kreisen des Aufsichtsrates werden Vorstand und Kontrolleure schon in den nächsten Wochen prüfen, inwieweit der Konzern eine stärkere Holding-Funktion erhält, um sich um übergreifende Themen wie gemeinsame Einsparchancen zu kümmern. Im Gegenzug könnten die Fahrzeugmarken und -sparten mehr dezentrale und regionale Entscheidungsmacht erhalten.

Für erfreuliche Nachrichten sorgte derweil das milliardenschwere Sparprogramm für mehr Effizienz bei Volkswagens Pkw-Kernmarke. "Wir rechnen damit, dass deutlich über eine Milliarde Euro davon bereits im laufenden Jahr ergebniswirksam wird", sagte Winterkorn.

Insgesamt will der Autobauer bei der Hauptmarke etwa fünf Milliarden Euro bis 2017 einsparen. Im ersten Quartal hatte das Programm einen Betrag "im niedrigen dreistelligen Millionenbereich" freigelegt.

Nach Beschluss der Hauptversammlung erhalten Aktionäre eine Dividende von 4,80 (zuvor 4,00) Euro je Stammaktie und 4,86 (4,06) je stimmrechtsloser Vorzugsaktie. Für das Land Niedersachsen bedeutet das mit seinem Fünftel Anteil an den VW-Stammaktien gut 283 Millionen Euro Dividende.

Auf der Hauptversammlung wurde außerdem ein neuer Vertreter des drittgrößten Aktionärs Katar in den VW-Aufsichtsrat gewählt. Der Chef des Luftfahrtkonzerns Qatar Airways, Akbar Al Baker, zog fast ohne Gegenstimme in das Kontrollgremium ein, wie Volkswagen am Abend mitteilte. Al Baker ersetzt für das Scheichtum den bisherigen Aufseher Ahmad Al Sayed. Katar hält 17 Prozent der VW-Stimmrechte.

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