Märkte zittern vor dem Schottland-Referendum

Edinburgh · Würde Schottland unabhängig, wäre die finanzpolitische Trennung mit vielen Fragezeichen behaftet. Allen voran steht das Währungsthema. Märkte hassen Ungewissheit - ein Pfund-Absturz könnte die Folge sein.

Wenn am 20. September im australischen Cairns die Notenbankchefs und Finanzminister der G20-Staaten zusammenkommen, werden zwei Teilnehmer in der Runde fehlen. George Osborne, Großbritanniens Schatzkanzler, und der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, haben ihre Reise nach "Down Under" abgesagt.

Die Beiden könnten dann noch Wichtigeres zu tun haben, als mit den wichtigsten Finanzexperten die globalen Geldströme zu lenken. Osborne und Carney müssen in den Tagen nach dem 18. September die finanzielle Stabilität ihres Landes gewährleisten, sollte sich die Mehrheit der Schotten beim Referendum für die Unabhängigkeit entscheiden.

Die Verschiebung der Reise mag als Indiz dafür dienen, wie ernst die Lage ist: Sollte am Freitagmorgen der Wahlleiter in Schottland verkünden: "The Ayes have it!", könnte über der Londoner Börse ein Gewittersturm losbrechen, wie ihn in den vergangenen Jahren kaum eine politische Wahl mehr imstande war, zu erzeugen. Die Sorgen in der Finanzwelt sind riesig.

Eine Abspaltung Schottlands, die faktisch frühestens in der ersten Hälfte des Jahres 2016 zum Tragen kommen könnte, brächte nach Einschätzung vieler Analysten aus ökonomischer Sicht vor allem eines: Unsicherheit. Und die hassen die Märkte. Ein großes Risiko wäre daher auch ein knappes "Nein"-Votum, sagt Paul Donovan von der Schweizer Bank UBS: "Das hätte große Einflüsse auf die Banken, auf die Schulden und auf vieles andere."

Der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landay, schrieb in einem Bericht an Kunden, die Argumente für ein Zusammenbleiben Schottlands mit Großbritannien seien "überwältigend". Eine Abspaltung verglich er mit den Fehlern, die in den USA vor der Großen Depression gemacht wurden. Die Analysten der UniCredit-Bank erwarten etwa einen deutlichen Abfall des Pfundes gegenüber dem Dollar und Euro, sollte Schottland mit Ja stimmen. "Auch die Zinslast für Großbritannien würde steigen", meint UniCredit-Volkswirt Nikolaus Keis.

Die Befürworter der Unabhängigkeit halten dies alles für eine große Kampagne, in der der konservative Premierminister David Cameron seine Freunde aus Banken und Konzernen zusammengetrommelt hat, um ihm die Steigbügel zu halten. "Das alles trägt Camerons Fingerabdrücke der Angstmacherei", sagte der Chef der Schottischen Nationalpartei SNP, Alex Salmond, am Montag. Auch Wahlforscher runzeln die Stirn. Die breite Front der Wirtschaftsführer vom Ölkonzern BP bis zum Einzelhändler John Lewis , die den Teufel der Unabhängigkeit an die Wand malen, könnte im von der Arbeiterklasse dominierten, politisch eher linken Schottland, auch nach hinten losgehen.

Diese Sichtweise wird ihrerseits von einigen hochkarätigen Experten gestützt. Schottland würde sogar sehr viel mehr Risiken eingehen, würde es bei Großbritannien bleiben - denn dann drohe ihm bei einem Referendum 2017 der Ausstieg aus der Europäischen Union, sagte der US-Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Die milliardenschweren Steuereinnahmen aus dem britischen Nordseeöl und dem Whisky-Export würden nach Edinburgh statt nach London fließen - ein Risiko eher für den Rest-Großbritanniens, mehr als für Schottland.

Aus welcher Perspektive man auch immer die Dinge sieht: Das größte Fragezeichen steht weiter hinter der Währung. Die Befürworter der Unabhängigkeit beharren darauf, dass Schottland das britische Pfund weiterbenutzen kann. Zentralbankchef Carney und alle wichtigen Politiker in London haben allerdings wiederholt darauf hingewiesen, dass es keine Währungsunion mit einem unabhängigen Schottland geben werde. Für eine Währungsunion bedürfe es einer politischen Union - das habe gerade die Eurokrise gezeigt. Und die politische Union sei zerschnitten, wenn Schottland mit "Ja" stimme.

Beobachter in Großbritannien sehen zwei mögliche Auswege: Entweder Großbritannien knickt ein und bezahlt eine längere Duldung der britischen Atomwaffen auf schottischem Boden buchstäblich mit dem Pfund. Oder Schottland nutzt die Währung weiterhin, ohne eigene Zentralbank und damit ohne Einfluss etwa auf die Geldmengenpolitik. Dies wäre wohl nur eine Übergangslösung, aber nicht unmöglich. Irland hatte seine Währung nach der Unabhängigkeit 1922 für über 50 Jahre an das Pfund gebunden, ehe die Republik schließlich dem europäischen Währungssystem beitrat.

Immerhin wäre so das riesige Wechselkursrisiko gebannt, das für Tausende von britischen Geschäftsleuten diesseits und jenseits der schottischen Grenze eintreten würde, wenn Schottland eine neue Währung annehmen sollte. Allerdings wäre die englische Zentralbank in London nicht als letzter Helfer im Notfall zur Stelle.

Schottland müsste nach Schätzung der Experten der Schweizer UBS aus dem Stand Währungsreserven im Wert von 50 Milliarden Pfund anhäufen, um für den Fall der Fälle - etwa den Bankrott einer Bank oder Versicherung - gerüstet zu sein. Allerdings haben zwei große Banken, die Royal Bank of Scotland und die Bank of Scotland, schon erklärt, sie wollten gegebenenfalls unter englischer Lizenz weitermachen.

Für ein neues Schottland sind diese Fragen existenziell - aber unbeantwortet. So auch das Schuldenproblem: Nach Berechnungen von Volkswirten würde Schottland mit einer Verschuldungsquote von knapp 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und einer Neuverschuldung von 6,3 Prozent loslegen. Das wäre etwa im Bereich des derzeitigen Großbritannien, jedoch deutlich oberhalb der Maastricht-Grenze für EU-Länder. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Die Politik bleibt bewusst vage.

Schottlands Ministerpräsident Salmond drohte vorsichtshalber schon einmal: "Keine Währungsunion, keine Schuldenübernahme durch Schottland." Dann säße Großbritannien, mit einer Bevölkerung kleiner als der Italiens, auf einem Riesenberg Schulden und hätte im Zweifel auch noch die schottischen Banken am Hals. Für die Seriosität der künftigen schottischen Regierung hätte dies aber möglicherweise langfristig eine Bumerang-Wirkung.

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