Craft-Bier Inspiration aus den USA

MÜNCHEN · Handwerkliche "Craft"-Biere waren ein US-Phänomen. Jetzt erobert aromatischer Gerstensaft auch hier die Szene.

Friedrich Düll blickt sozusagen über die Schaumkrone eines Bieres auf seine Branche zurück. Alles worüber man lange geredet habe sei der Bierpreis gewesen und der Eindruck, dass alles was teuerer als Freibier ist, überzogen sei, philosophiert der Präsident des bayerischen Brauerbunds. Aber mit dieser Rückwärtsgewandtheit soll nun Schluss sein. "Jetzt redet man wieder über Bier, nicht den Preis", sagt Thomas Raiser. Er ist Verkaufschef beim Nürnberger Hopfenspezialisten Barth, der rund ein Drittel des weltweiten Hopfens handelt. Ins Gerede gebracht haben den hierzulande vielfach zur Ramschware verkommenen Gerstensaft sogenannte Craftbrewer. Das wiederum findet die ganze Branche gut.

Diese Brauerspezies ist originär ein US-Phänomen. Diese anfangs kleinen und stets experimentierfreudigen Brauer schießen dort explosionsartig aus dem Boden. Rund 3000 Neugründungen habe es in den letzten Jahren gegeben, sagt Raiser. Die größte davon ist die Boston Brewing Company, die jährlich auf 2,5 Millionen Hektoliter Ausstoß kommt. In Deutschland wäre sie damit unter den Top Ten der Bierbranche. Craftbrewer versuchen sich an neuen Geschmäckern und verwenden dazu Aromahopfen wie er in der Natur wächst, aber hier zu Lande noch selten verwendet wird.

Das führt zu Geschmacksrichtungen wie Schokolade oder Maracuja. Wenn viel Bitterhopfen verwendet wird, schmecken Biere auch deutlich bitterer als deutsches Pils und heißen dann zum Beispiel Indian Pale Ale (IPA). "Wer zum ersten Mal ein solches Bier probiert, erlebt einen Geschmacksschock", räumt Raiser ein. Mancher Genussmensch fängt Feuer.

Und man spricht wieder über Bier wie auch über den ersten US-Craftbrewer Stone Brewing, der nach Deutschland kommt, um in Berlin Ende 2015 oder Anfang 2016 eine eigene Braustätte zu eröffnen. "Die Idee, dass wir über den Teich gehen, um unsere Art Bier frisch in Europa zu brauen, ist eine aufregende Perspektive", findet Stone-Mitgründer Greg Koch. Vor 18 Jahren habe er von europäischen Brauern inspiriert begonnen. Jetzt kehre die Inspiration zurück nach Europa.

Acht Prozent Marktanteil hat Craftbier in den USA laut Statistik, bei jährlichem Wachstum von zuletzt einem Fünftel. Gemessen am Umsatz liegt der Marktanteil bei gut zehn Prozent, weil diese Art von Gerstensaft mehr kostet, in Deutschland typischerweise ab zwei Euro je 0,33 Liter-Flasche. Global liegt der Marktanteil von Craftbieren, die auch in Belgien oder Italien verbreitet sind, bei rund zwei Prozent, Dabei verbraucht die Jungbranche ein Zehntel des weltweiten Hopfens, weil ihre Biere ein Vielfaches des natürlichen Aromastoffs aufsaugen.

In Deutschland ist es gerade ein Prozent Marktanteil, weil das Geschäft hier erst am Anfang steht. "Aber wir bekommen wöchentlich Hopfenanfragen von in Deutschland neu gegründeten Brauereien", sagt der Raiser. Er schätzt, dass es in Deutschland derzeit rund 100 heimische Craftbrauer wie Ratsherrn in Hamburg, Schoppe in Berlin oder Crew Republic in München gibt. Vor Jahresfrist war es die Hälfte dieser Zahl. Ein erster deutscher Craftbier-Preis wurde soeben vergeben. Gewonnen haben relativ kleine Brauer wie Camba Bavaria im bayerischen Truchtlaching.

Aber nicht nur Kleinbrauer entdecken hierzulande gerade einen neuen Markt für sich. Auch etablierte Braugruppen springen auf den Zug auf, um sich ins Gespräch zu bringen. Deutschlands größter Braukonzern Radeberger ist unter dem Markennamen Braufactum aktiv, der Branchenriese Bitburger neuerdings mit der Marke "Craftwerk". Noch sind die Mengen gering, aber Szene-Kneipen öffnen sich und könnten die Aromabiere zu trendigen Lifestyle-Getränken machen.

"Craftbier tut dem Bier gut", sagt Stephan Barth, Co-Chef der gleichnamigen Hopfengruppe. Es werde dadurch nicht mehr nur als kalt, gelb und nass wahrgenommen. "Ob deshalb auch mehr Bier getrunken wird, bezweifle ich allerdings", meint der Hopfenmanager. Die hierzulande schrumpfende Bevölkerung und der seit Jahren verfallende Pro-Kopf-Verbrauch sprächen eine andere Sprache. Aber Gerstensaft wie Craftbiere sollte man ohnehin nicht aus Durst trinken, sondern wenn man genießen will.

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