Airlines Hilfe für geprellte Fluggäste

BRÜSSEL · Verspätete Flüge, verpasste Anschlussverbindungen oder eine unfreiwillige Übernachtung im Flughafenhotel wegen eines annullierten Fluges: Im Durchschnitt haben drei von 1000 Verbindungen mehr als vier Stunden Verspätung. Dafür steht betroffenen Passagieren eine Entschädigung zu. Doch nicht selten versuchen Fluglinien, ihre Pflicht zu umgehen.

Wer sich selbst um eine Entschädigung bemüht, wird oft abgewiesen. Ein Beispiel: Ein internationaler Flug von Rio de Janeiro nach Madrid fällt wegen eines technischen Defekts aus. Die Passagiere können erst am Folgetag - 22 Stunden später als geplant - mit einer Ersatzmaschine fliegen. Der Fluggast verpasst deshalb einen wichtigen Geschäftstermin, eine Studentin ihre Abschlusszeremonie. Beide bitten in einem Schreiben an die Airline um Entschädigung. "Da es sich hierbei um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, steht Ihnen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 keine Entschädigung zu", heißt es seitens der spanischen Fluglinie.

Zwar gilt die Regel nicht, wenn ein Linienflug wegen eines Streiks, eines geschlossenen Flughafens, eines Vulkanausbruchs, Unwetter oder Vogelschlags nicht starten kann. Für technische Fehler aber tragen die Fluggesellschaften selbst die Verantwortung, wie mehrere Gerichtsurteile bestätigten.

"Das sind keine außergewöhnlichen Umstände", erklärt Andrea Sack vom Europäischen Verbraucherzentrum in Kehl. Das Zentrum übernimmt Fälle von geprellten Passagieren, die sich bereits erfolglos an ihre Fluggesellschaft gewandt haben - kostenfrei. Allein in diesem Fall hat das Verbraucherzentrum bereits mehr als 500 Fälle bearbeitet. Eine weitere Möglichkeit liegt in der Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr. Der Verein arbeitet honorarfrei, kann allerdings nur dann tätig werden, wenn die betroffene Fluggesellschaft zu den Mitgliedern gehört.

Doch bis Geld fließt, müssen Passagiere meist lange warten. "Die Fluggesellschaften spielen oft auf Zeit, in der Hoffnung, dass die geprellten Fluggäste irgendwann aufgeben", meint Sack. Denn die Entschädigungen können die Airlines pro Passagier bis zu 600 Euro kosten. Der Höchstsatz wird fällig, wenn ein interkontinentaler Flug über vier Stunden Verspätung hat. Bei 1500 Kilometern Flugstrecke und ab drei Stunden Verspätung müssen die Fluggesellschaften 250 Euro pro Passagier bezahlen, bei 3000 Kilometern sind es bereits 400 Euro.

Das Problem: Die Airlines überweisen nicht automatisch - der geprellte Passagier muss sein Recht einfordern. Das kostet oft viel Zeit, gegebenenfalls wird ein Rechtsanwalt notwendig. Fluggäste ohne Rechtsschutzversicherung scheuen diesen Schritt - aus Unsicherheit, ob sie den Fall gewinnen. In Einzelfällen ziehen sich die rechtlichen Auseinandersetzungen bis zu drei Jahre hin. "Da können schon mal 10.000 Euro an Anwalts- und Gerichtskosten zusammenkommen", erklärt Hendrik Noorderhaven. Der Niederländer ist Gründer und Geschäftsführer des juristischen Dienstleisters EU Claim, der sich auf Fluggastrechte spezialisiert hat. Mehr als 35.000 Fälle hat seine Firma allein in den vergangenen drei Jahren bearbeitet. Die Erfolgsquote liegt bei 97 Prozent. Denn EU Claim übernimmt längst nicht jeden Fall. "Viele wenden sich an uns in dem Glauben, dass ihnen eine Entschädigung zusteht", erklärt Noorderhaven. Doch nicht immer sei das der Fall. Ein Schnelltest auf der Webseite gibt Auskunft, ob der Betroffene grundsätzlich Anspruch auf eine finanzielle Wiedergutmachung hat.

Gewinnt der Dienstleister den Rechtstreit, behält er 22,5 Prozent der Entschädigung ein - zuzüglich Mehrwertsteuer. Der deutsche Konkurrent Flightright verlangt mit 25 Prozent der Entschädigung zuzüglich der Mehrwertsteuer sogar noch mehr.

Im Gegenzug entstehen dem Kunden keine Kosten, wenn der juristische Dienst den Fall verliert. Verbraucherschützerin Sack bedauert jedoch, dass es solche Firmen überhaupt gibt: "Sie sind aus Notwendigkeiten entstanden, die es gar nicht geben dürfte."

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