Konjunktur Die Eurozone driftet auseinander

BONN · Erste Ökonomen fordern Geldgeschenke der Zentralbank für die Bürger, um die Wirtschaft in den Schuldenstaaten der Eurozone anzukurbeln. Der Euro bleibt gegenüber dem Dollar stark unter Druck.

 Bargeldgeschenke von der Zentralbank? Manche Ökonomen sehen darin ein Mittel, die Konjunktur in der Eurozone anzukurbeln.

Bargeldgeschenke von der Zentralbank? Manche Ökonomen sehen darin ein Mittel, die Konjunktur in der Eurozone anzukurbeln.

Foto: dpa

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone driftet auseinander, der Ruf nach zusätzlichen Interventionen wird wieder lauter. Während Deutschland als eindeutiger Krisengewinner dasteht (siehe unten stehenden Bericht), fällt Griechenland trotz massiver Hilfsprogramme weiter zurück. In Spanien wecken nach wie vor fallende Preise Deflationssorgen.

Weil die Politik des billigen Geldes durch die Europäische Zen-tralbank (EZB) bisher nicht zur gewünschten Konjunkturerholung in den Schuldenstaaten geführt hat, gibt es erste Stimmen, die EZB solle frisches Geld drucken und direkt an die Bürger verschenken. In diese Richtung äußern sich Sylvain Broyer, Europa-Volkswirt der französischen Investmentbank Natixis, und Willem Buiter, Chefökonom des US-Finanzriesen Citigroup, im "Spiegel".

Das Konzept dahinter: Wenn jeder Bürger der Eurozone 500, 1000 oder vielleicht sogar 10.000 Euro von der EZB erhielte, käme das auch nicht teurer als der geplante Rückkauf von Staatsanleihen und würde als großes Konjunkturprogramm wirken. Außerdem würden wegen der höheren Nachfrage auch die Preise wieder steigen.

So ungewöhnlich, wie sie klingt, ist die Idee nicht. Die USA erstatteten 2001 nach dem Platzen der Internetblase an der Börse den Bürgern bis zu 300 Dollar Steuern in bar zurück, um den Konsum und damit die Konjunktur zu stabilisieren.

Unter deutschen Ökonomen stößt der Vorschlag allerdings überwiegend auf Kritik. Andreas Schabert, Professor für Geldtheorie an der Uni Köln, hält Geldgeschenke nicht für sinnvoll: "Die realen Wirkungen eines solchen Transfers wären von der Bereitschaft der Privathaushalte abhängig, dieses Geld auch tatsächlich für Konsumausgaben zu verwenden." Je kurzfristiger eine solche Transferpolitik angelegt sei, desto geringer wäre die Ausgabenbereitschaft. In erster Linie "profitieren Nettoschuldner", schätzt Schabert. Auch Jürgen Matthes, Leiter Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), sieht mehr Nachteile als Vorteile. Hauptproblem für die Schuldenstaaten seien weniger fehlende Konsumausgaben der privaten Haushalte als vielmehr hohe Schulden der Unternehmen und damit mangelnde Investitionen. Die Gefahr einer Deflationsspirale in der Eurozone schätzen die Kölner Wirtschaftsforscher ohnehin als gering ein. "Eine geringe Inflation stärkt die Kaufkraft und stützt damit tendenziell die Konjunktur", betont Matthes. Wenn jetzt in einigen Euroländern die Preise zurückgingen, seien das notwendige Anpassungen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Statt Geldgeschenken seien in den Schuldenstaaten zügige private Insolvenzverfahren, beschleunigte Abschreibungen bei Banken auf faule Kredite und weitere Bankenrekapitalisierungen nötig.

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn forderte gestern eine internationale Schuldenkonferenz zu Griechenland. "Griechenland hat heute doppelt so viele Arbeitslose wie im Mai 2010. Die Industrieproduktion ist um 30 Prozent eingebrochen gegenüber dem Vorkrisenniveau. Das Land steckt in der Falle. Die interne Abwertung durch die Sparprogramme ist gescheitert." Für den Fall, dass Griechenland aus dem Euro ausscheide, müsste Deutschland nach Sinns Angaben derzeit maximal mit einem Verlust von 76 Milliarden Euro rechnen. Wenn das Land in der Eurozone verbleibe, seien die Verluste in etwa genauso hoch, nur würden sie anders verbucht. Es würden immer wieder neue Kredite nötig.

Wegen der Sorgen um die Eurozone konnte sich der Euro gestern nur nur leicht von seinem am Montag erreichten Neunjahrestief bei 1,1864 US-Dollar erholen. Am späten Nachmittag kostete ein Euro 1,1910 Dollar.

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