EU-Energiekommissar Atom-Industrie fürchtet Oettinger

BRÜSSEL · Europas Atom-Industrie fürchtet das Papier aus Brüssel. Vermutlich im Laufe dieses Monats wird EU-Energiekommissar Günther Oettinger seinen Vorschlag für eine europaweite Versicherung von Atommeilern präsentieren.

"Ich werde vorschlagen, eine europaweit einheitliche Haftpflichtversicherung für Atomkraftwerke einzuführen", unterstrich der frühere baden-württembergische CDU-Ministerpräsident in einem Interview. "Die Versicherungssumme muss so hoch wie möglich sein, aber sie muss auch von den 28 Regierungen unterschrieben werden."

In Deutschland haften die Betreiber für Schäden bis zu einer Obergrenze von 2,5 Milliarden Euro. Frankreich hat diese Grenze bei 90 Millionen gezogen. Zum Vergleich: Die durch die Katastrophe von Fukushima entstandenen Schäden werden derzeit mit rund 187 Milliarden Euro angegeben.

Oettinger: "Mir ist ein realistischer Beitrag lieber als gar keiner." Beobachter gehen davon aus, dass der Kommissar eine Haftungssumme von einer Milliarde oder mehr fordern dürfte.

Auch wenn die Europäische Kommission keine Zuständigkeit für die Energieträger hat, auf die die Mitgliedstaaten setzen, ist sie doch für die Überwachung der Sicherheit mitverantwortlich. Mitte des Jahres hatte Oettinger deswegen kontinuierliche Stresstests angekündigt: Alle sechs Jahre sollen die 132 EU-Reaktoren von Prüfern unter die Lupe genommen werden.

Wie teuer eine solche Kontrolle werden kann, zeigte sich im Vorjahr: Nach einem ersten Stresstest als Konsequenz aus den Vorgängen in Japan gab es vernichtende Kritiken am Sicherheitsstandard. Die Kosten für die Beseitigung der aufgedeckten Probleme wurden mit 25 Milliarden Euro angegeben.

Für die Atomkraft-Gegner kommt damit endlich eine Diskussion über die gesellschaftlichen Folgekosten der umstrittenen Kraftwerke in Gang. Noch vor zehn Jahren errechneten Experten für den Bau neuer Atommeiler durch vereinfachte Konstruktion und neue Designs eine Summe von 700 Euro pro Kilowattstunde Leistung.

Der "Weltreport Nuklear-Industrie 2013" spricht von 5000 Euro. Mit rund 35 Milliarden Euro unterstützten die EU-Staaten allein 2011 den Betrieb der ungeliebten Meiler. Dagegen kam die grüne Energie lediglich auf Zuschüsse von 30 Milliarden.

Als vor einigen Wochen bekannt wurde, dass die Brüsseler Kommission den Bau und den Betrieb von Kernkraftwerken auch künftig ebenso mit Infrastrukturmitteln unterstützen will wie die Errichtung alternativer Anlagen, brach ein Sturm der Entrüstung los. Inzwischen hat die Kommission diese Absicht zurückgezogen.

Oettinger, bislang eher ein Freund der CO2-armen Atomkraft, sitzt zwischen den Stühlen. Zum einen wird von ihm ein abschreckender wie angemessener Garantiebetrag für mögliche Schäden erwartet. Zum anderen ahnt der Kommissar, dass eine zu hohe Forderung nicht durchsetzbar sein und die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, sich der Kontrolle der EU-Verwaltung zu unterziehen, wenig förderlich sein dürfte.

Sollte es in europäischen AKW zu einer Katastrophe à la Fukushima kommen, wäre der Schaden wegen der dichteren Besiedlung dramatisch größer.

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