Interview mit Thomas Christian Bächle Medienwissenschaftler: "Das Mündliche wird wieder stärker werden"

BONN · Die E-Mail feiert Geburtstag. Und hat sich in ihren ersten 30 Jahren verändert - sagt Medienwissenschaftler Thomas Christian Bächle, der die Fragen beantwortet hat. Am Telefon, nicht am Computer.

Medienwissenschaftler Thomas Christian Bächle.

Medienwissenschaftler Thomas Christian Bächle.

Foto: Privat

Was ist eigentlich eine E-Mail?
Thomas Christian Bächle: Zu Beginn wurde die E-Mail als elektronischer Brief betrachtet, ganz klassisch als Mittel asynchroner Kommunikation. Sie war dem Brief auch in der Form sehr ähnlich, mit Anrede, Gruß- und Schlussformel. Sie war für eine eher monologische Kommunikation vorgesehen, für abgeschlossene Inhalte.

Aber das hat sich relativ schnell geändert, weil die E-Mail ja schon Besonderheiten hat...
Bächle: Da finde ich den Zeitstempel sehr interessant. Der Brief hat ein Datum getragen, aber eben keine Uhrzeit. Dadurch kommt es zu einer neuen Kommunikationsform, da spielen Absendezeiten und überhaupt die Tageszeit eine große Rolle. In beruflichen Kontexten wird eine Mail, die nachts verschickt wurde, als dominanter betrachtet, weil sie ein Stück weit in den Privatbereich eindringt. Wenn eine private Mail nachts, sozusagen mit dem Zeitstempel des Intimen, verschickt wird, wird sie hingegen als besonders nah empfunden.

Hat die Mail ein neues Kommunikationsverhalten geschaffen?
Bächle: Ja, vor allem bei der Frage, wie schnell reagiere ich auf eine Mail. Da gibt es eine Erwartungshaltung, fast schon einen Zwang zur sofortigen Antwort. Das ist ein neues Phänomen, das es in der klassischen Briefkommunikation nicht gab.

Wie lange habe ich denn Zeit, auf eine Mail zu antworten?
Bächle: Im beruflichen Kontext ist die Regel: unter 24 Stunden. Im Privaten ist das sehr viel strenger, weil sich die Kommunikation durch die Möglichkeit, auch mit Smartphones überall E-Mails empfangen und versenden zu können in Kombination mit den Konventionen, die Dienste wie Whatsapp mit sich bringen, beschleunigt hat. Die Antwortzeit, die mir zusteht, ist sehr viel geringer geworden. Auch weil ein schnelles Antwortverhalten soziale Nähe kommuniziert.

Die E-Mail-Kommunikation wurde durch soziale Netzwerke oder Apps beeinflusst?
Bächle: Das glaube ich schon. Das hat viel mit dem Kommunikationsverhalten zu tun, das man durch Nutzung dieser Netzwerke einübt. Das gilt aber nur für den privaten Kontext. Wobei ich das auch schon in der Kommunikation mit Studierenden merke. Da tritt man, wenn man nicht aufpasst, auch bei Mails in eine quasi dialogische Kommunikation, wie es bei Diensten wie Whatsapp üblich ist. Da spart man sich dann schnell die Anrede oder die Schlussformel.

Was gibt es denn für Konventionen in E-Mails?
Bächle: Da muss das Private, wo sich die Kommunikation durch die beschriebenen Phänomene sehr stark ändert, vom Beruflichen wieder getrennt werden. Dort gibt es eher noch die klassische Schriftlichkeit mit Höflichkeitsformeln. Das wird auch weiterhin Bestand haben. Im Privaten hingegen gibt es schon seit Jahren beispielsweise ein standardisiertes Versprachlichen von körperlichen Aktionen, indem man so etwas schreibt wie *wein*, *schluchz* oder *zubettgeh*. Das hat in der Schriftlichkeit etwas verändert.

Im Beruflichen haben es viele mit einer Mailflut zu tun, allein weil sie ganz oft als Kopieempfänger in "CC" gesetzt werden. Was tun?
Bächle: (lacht) Wenn ich das wüsste. Das muss jeder für sich sehen. Aber es gibt in der Industrie schon solche Maßnahmen, dass außerhalb der Arbeitszeit gar keine Mails mehr verschickt werden dürfen. Es gibt auch Leute, die löschen Mails, bei denen sie nur in "CC" sind, ungelesen. Denn für manche sind solche Verteiler-Mails auch nur eine gute Taktik, weil sie auch zur Dokumentation genutzt werden können, um anderen mitzuteilen, wie viel und wie fleißig sie arbeiten. Im Urlaub könnte man in die Abwesenheitsnotiz schreiben, dass alle Mails ungelesen gelöscht werden. Wer etwas Wichtiges wollte, meldet sich ohnehin noch einmal.

Naht das Ende der E-Mail?
Bächle: Das glaube ich nicht. Die Anzahl der weltweit verschickten Mails wird weiterhin steigen. Vor allem im beruflichen Kontext, weil sie eben sehr viele Möglichkeiten bietet, allein durch das Anhängen von allen erdenklichen Dateiformaten. Zudem ermöglicht die E-Mail kollaborative Arbeit. Im Privaten wird die Anzahl der verschickten Mails um schätzungsweise drei bis vier Prozent jährlich zurückgehen. Das hängt auch mit mit den neuen mobil nutzbaren Anwendungen zusammen, die die Mail nicht verdrängen, aber deren Popularität senken werden, weil sie immer mehr multimediale Möglichkeiten bieten.

Was ist die Folge davon für die Kommunikation allgemein?
Bächle: Das Mündliche wird wieder stärker werden. Schon bei der Mail haben wir es im Privaten schnell mit einer konzeptionellen Mündlichkeit zu tun: Die Leute schreiben so, wie sie sprechen. Das hat sich als vollkommen akzeptierter Standard etabliert. Und das wird sich weiter Bahn brechen, indem man zunehmend auch kurze Sprachaufnahmen verschickt. Aufgrund dieser neuen Kommunikationswege, die auch audiovisuell sein können, indem ich ein Foto oder Video statt eines Textes schicke, wird die E-Mail im Privaten an Bedeutung verlieren.

Zur Person

Thomas Christian Bächle ist 32 Jahre alt und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Medienwissenschaft der Universität Bonn an der Poppelsdorfer Allee. Dort wird seit 15 Jahren Onlineforschung betrieben. Bächle hat sich in seiner Dissertation bereits mit dem Thema beschäftigt. Er hat unter anderem Medienwissenschaften in Bonn und London studiert und ein Buch über mobile Medien geschrieben.

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