Zum Tod von Lou Reed Zärtlichkeit und Agonie

Bonn · Reaktionen auf den Tod des Musikers Lou Reed und Erinnerung an den Bonner Kunst!Rasen-Auftritt im Juni 2012. Die Popwelt trauert. Nach dem Tod von Lou Reed, der wie berichtet am Sonntag 71-jährig an den Folgen einer Lebertransplantation gestorben ist, haben Kollegen und Weggefährten den Musiker gewürdigt.

 New Yorker Rock-Ikone: Lou Reed, aufgenommen im November 2012 in Frankfurt.

New Yorker Rock-Ikone: Lou Reed, aufgenommen im November 2012 in Frankfurt.

Foto: dpa

"Die Welt hat einen ausgezeichneten Songwriter und Poeten verloren . . . Ich habe meinen Schulhof-Kumpel verloren", schrieb John Cale auf seiner Facebook-Seite. Cale hatte mit Reed Ende der 1960er Jahre die von Andy Warhol geförderte Avantgarde-Band Velvet Underground gegründet.

"Er war ein Meister", erklärte Musiker David Bowie, der 1972 Reeds erstes Soloalbum "Transformer" produziert hatte. Reed war mit Hits wie "Walk On The Wild Side" und "Perfect Day" weltberühmt geworden. Gefürchtet war er für seine ohrenbetäubenden, rückkopplungsverliebten Klangexperimente und für seine, vorsichtig formuliert, raue Schale. Darunter verbarg sich möglicherweise ein sensibles Temperament - ganz sicher ist das allerdings nicht.

Patti Smith trauert um "einen meiner wichtigsten Freunde in meinem Leben". Iggy Pop, der in den siebziger Jahren mit Bowie und Reed in einer WG im Westen des geteilten Berlins lebte, schrieb auf Twitter von "niederschmetternden Neuigkeiten". Paul Stanley, Gründungsmitglied der Rockgruppe Kiss, würdigte Reed als "Musiker, Künstler und Vorreiter, der nach seinen eigenen Regeln gespielt hat".

In Bonn ist Reed mehr als einmal zu Gast gewesen. Am 29. Juni 2012 eröffnete er die erste Kunst!Rasen-Saison. Reed und seine achtköpfige Band stiegen mit dem Song "Brandenburg Gate" vom Album "Lulu" (2011) ein, das Reed gemeinsam mit Metallica aufgenommen hatte. Die ersten Worte "I would cut my legs and tits off" signalisierten bereits, wohin die Reise gehen würde. Der 70-jährige Wuschelkopf ließ mit Metallica seiner Vorliebe für gewalttätige Visionen und sadomasochistische Fantasien freien Lauf. Reeds großartig-groteske Sätze überzogen die Heroen von Metallica, weniger dramatisch die Musiker auf dem Kunst!Rasen, mit Hardrock-Effekten. Vorher gab's röhrende Rückkoppelungen

Die Menschen waren in erster Linie gekommen, um die glorreiche Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Und Lou Reed, im ärmellosem dunklen Shirt, lieferte: erst "Heroin", dann "I'm Waiting For The Man". In "Heroin" heißt es: "Heroin, it's my wife and it's my life": die Droge als Lebenspartner. "Heroin", mit exaltierter elektrisch verstärkter Geige dargeboten, vereinte auf gruselig-schöne Weise brüchige Zärtlichkeit und Agonie.

Hingerissen waren die Zuhörer natürlich vom Klassiker "Walk On The Wild Side", den Reed im federleichten Swing-Gewand auftreten ließ; das "Do Dodoo Do Dodoo" der Background-Sängerin war hinreißend. Damit kontrastierten Reeds gnadenlos schraddelnde Gitarre und die unsentimentale Leierstimme, die viel Lebenserfahrung transportierte. Meistens stand der Musiker da wie eine Statue, nahezu unbeweglich, aber permanent unter Strom. Ihm verdanken wir Juwelen wie "Sweet Jane", "Sad Song" und "Beginning To See The Light". Sie im Konzert zu hören, war wie ein Geschenk.

Im Laufe seiner Karriere erzählte Reed von Strichern und Fixern, von Sadomasochismus, Nihilismus und Selbstmord. Danach vom schwierigen Beziehungsalltag, von individueller Desorientierung und der Liebe im Allgemeinen. Dabei ging es immer zur Sache. Faszinierend, dass unter all dem Psycho-Schutt, den Reed musikalisch auf der Bühne ablud (zumal vom Album "Lulu"), dann doch immer wieder Augenblicke von seltener Schönheit, paradoxe Glückserlebnisse verborgen waren.

Wenn er die im Konzert ans Publikum verschenkte, erschien der existenzielle Grantler in einem ganz anderen Licht.

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