Polizistenmord in New York Wahnsinn ohne Vorwarnung

WASHINGTON · Die Umstände des Polizistenmordes in New York jagen vielen Menschen eine Gänsehaut über den Rücken.

 Polizisten sichern den Tatort, an dem ihre Kameraden getötet worden waren.

Polizisten sichern den Tatort, an dem ihre Kameraden getötet worden waren.

Foto: AP

Wenjian Liu (32) und Rafael Ramos (40) hatten nicht den Hauch einer Chance. Die New Yorker Streifen-Polizisten saßen am Samstag gegen 15 Uhr im Stadtteil Brooklyn/Bedford-Stuyvesant in der Nähe der belebten Kreuzung zwischen Tompkins und Myrtle Avenue ahnungslos in ihrem Dienstwagen, als Ismaaiyl Brinsley sich heranschlich, eine Waffe auf sie richtete und mehrfach abdrückte. Die Cops, der eine zwei, der andere sieben Jahre im Dienst, erlitten schwerste Kopftreffer und starben wenig später in der Notaufnahme des Woodhull-Krankenhauses.

Brinsley floh zu Fuß in die nächst gelegene U-Bahn-Station und richtete mitten auf dem Bahnsteig die silberne Tatwaffe gegen seinen Kopf. Er starb an Ort und Stelle.

William Bratton, Chef des 35.000 Mann starken Polizeiheeres in New York, sprach wenige Stunden später sichtlich erschüttert von unerklärlichem "Wahnsinn ohne Vorwarnung". Die Beamten seien "wegen ihrer Uniform hingerichtet worden". Bratton machte eine "polizeifeindliche Stimmung" im Land mitverantwortlich für die Tragödie.

Die Umstände der Tat jagten vielen Menschen nicht nur in New York Gänsehaut über den Rücken. Ismaaiyl Brinsley, mehrfach wegen kleinerer Delikte im Bundesstaat Georgia vorbestraft, stand nach Berichten New Yorker Zeitungen in Verbindung mit der aus schwarzen Gefängnis-Gangs hervorgegangenen "Black Gorilla Family". Die militante Radikalen-Gruppe hatte nach dem umstrittenen Anklageverzicht gegen die Polizisten, die den 43-jährigen Eric Garner in New York zu Tode gewürgt und den 18-jährigen Michael Brown in Ferguson erschossen hatten, zur offenen Jagd auf Polizisten aufgerufen.

Dass es dem 28-Jährigen um Vergeltung ging, ist in sozialen Netzwerken detailliert dokumentiert. "Sie nehmen einen von uns, wir nehmen zwei von ihnen", hieß es in einer Instagram-Nachricht, die Brinsley wenige Stunden vor der Tat abgesetzt hatte - versehen mit den hashtags (#) "Ruhe in Frieden Eric Garner" und "Ruhe in Frieden Michael Brown".

Rätselhaft ist laut Ermittlern, warum der Cop-Killer mehrere Stunden Autofahrt hinter sich brachte, bevor er den Abzug betätigte. Brinsley schoss laut Polizei-Angaben in den frühen Morgenstunden des Samstag in Owning Mills bei Baltimore seiner Ex-Freundin nach einer Auseinandersetzung in den Bauch, stahl ihr Mobiltelefon und floh in Richtung New York, wo er Bekannte in Brooklyn hatte.

Auf der knapp vierstündigen Fahrt machte Brinsley abseits seiner Copkiller-Botschaft mit erratischen Äußerungen auf sich aufmerksam: "Ich wollte immer in Erinnerung bleiben für eine gute Tat. Aber meine Vergangenheit verfolgt mich und meine Gegenwart jagt mich. Warum leben, wenn man das Leben nicht liebt?".

Die Mutter des Opfers in Baltimore, 60 Kilometer nördlich von Washington gelegen, bemerkte die alarmierenden Einträge Brinsleys und informierte die dortige Polizei. Dort wurde, wann genau ist nicht bekannt, ein Fax mit einer Warnung an die Kollegen des NYPD in New York geschickt. Fatalerweise wurde die Botschaft dort erst in dem Moment registriert, als in Bedford-Stuyvesant bereits die tödlichen Schüsse gefallen waren, sagte Polizeichef Bratton. Ob es sich um eine handfeste Kommunikationspanne handelt, wird noch untersucht.

Für New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio ist der Racheakt politisch brandgefährlich. Das demokratische Stadtoberhaupt, mit einer schwarzen Dichterin verheiratet, hatte nach dem als skandalös empfundenen Polizei-Einsatz gegen Eric Garner unverhohlen Position für die Demonstranten bezogen, die tagelang durch New York gezogen waren, und der Polizeibehörde eklatante Versäumnisse vorgeworfen. Polizeigewerkschafter empörten sich, de Blasio habe den Cops damit das "Messer in den Rücken gerammt". Niemand müsse sich wundern, wenn Ordnungshüter in Zukunft zur Zielscheibe würden. Der Bürgermeister hielt sich bei der Pressekonferenz am Samstagabend stark zurück.

"Jeder New Yorker sollte sich angegriffen fühlen durch diesen verabscheuungswürdigen Täter", sagte er kurz und überließ ansonsten Polizeichef Bratton das Reden. Polizei-Gewerkschafter Ed Mullins war außer sich: "Bürgermeister de Blasio hat das Blut dieser beiden Officer an den Händen."

Wortreichere Vorwärtsverteidigung betrieb dagegen Reverend Al Sharpton, einflussreiche religiöse und bürgerrechtliche Stimme im schwarzen Amerika und gleichzeitig bekannter TV-Moderator. "Jeder Gebrauch der Namen von Eric Garner und Michael Brown in Verbindung mit Gewalt oder Tötung der Polizei ist verwerflich und gegen das Streben nach Gerechtigkeit in den beiden Fällen gerichtet. Wir haben immer gesagt, dass die allermeisten Polizisten ihre Arbeit ordentlich tun", ließ Sharpton verlauten.

Die Bluttat von Brooklyn ist nach offiziellen Angaben seit 1972 der siebte Fall, bei dem Polizisten in New York auf diese Weise getötet wurden. Das letzte Mal liegt über 11 Jahre zurück. James Nemorin, 36, und Rodney Andrews, 34, saßen während einer verdeckten Beschattung in Staten Island in ihrem Auto, als der Drogenkranke Ronell Wilson sie erschoss.

Er wartet bis heute auf die Vollstreckung der Todesstrafe.

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